Auf der populistischen Welle

Die Kanzlerin zeigt Schwächen. Und die SPD kann der Verführung nicht widerstehen, diese sofort auszunutzen.

Lange genug hat man sich nibelungentreu verhalten in der Koalition _ anders als die CSU - und ist dafür nie belohnt worden. Der Frust darüber sitzt tief. Sigmar Gabriels Attacken nach den Wahlerfolgen der AfD sind also verständlich. Und dennoch sind sie grob falsch.

Zum Ersten, weil sie nicht glaubhaft sind. Noch vor einem Jahr saß der SPD-Chef mit einem "refugees welcome"-Button auf der Regierungsbank. Das ist nicht vergessen. In der Flüchtlingspolitik stand die SPD stets solidarisch zur Kanzlerin. Gabriels Wechsel der Tonlage ("Obergrenze der Integrationsfähigkeit", "Nicht jedes Jahr eine Million") erfolgt zu abrupt. Die schon zur AfD tendierenden SPD-Wähler merken die plumpe Anbiederungsabsicht und sind verstimmt.
Die Vorwürfe sind auch nicht schlüssig. Zwar ist es richtig, dass die SPD-Länder dem Bund das Geld für die Flüchtlingshilfe regelrecht aus den Rippen leiern mussten. Und es trifft zu, dass sich CDU und CSU lange schwertaten mit dem Integrationsgesetz. Doch erstens ist das Schnee von gestern - inzwischen ist alles einvernehmlich verabschiedet, und die Finanzmittel fließen.

Und zum Zweiten haben sich auch die Sozialdemokraten nicht nur mit Ruhm bekleckert, man denke nur an die Debatten um die sicheren Herkunftsstaaten oder die Sicherheitsgesetze. Wenn es Verzögerungen gab, lag die Verantwortung dafür durchaus auf beiden Seiten.

Vor allem aber ist der strategische Sinn der Gabriel'schen Kritik nicht zu erkennen. Merkel kann man so zusätzlich vielleicht schädigen; selbst wird die SPD davon jedoch wenig profitieren. Nur das Land verliert.

Fakt ist doch, dass neben offenen Ausländerfeinden viele Leute die AfD wählen, die Angst haben, dass die Sache aus dem Ruder läuft. Ihnen müsste man nun im Gegenteil das Bild vermitteln, dass der Staat sehr wohl dabei ist, die Kontrolle zurückzugewinnen, nicht nur über die Flüchtlingsströme, sondern auch über die Sicherheitslage und bei der Integration. Dass man gemeinsam alles Menschenmögliche tut.

Stattdessen verstärkt Gabriel die Verunsicherung noch, obwohl er Teil der verantwortlichen Regierung ist. Wenn er zum Beispiel sagt, man müsse aufpassen, dass bei den ärmeren Menschen nicht der Eindruck entstehe, in Berlin habe man "immer dann Geld, wenn es darum geht, Banken zu retten oder jetzt auch Flüchtlingen zu helfen", zitiert er scheinbar nur eine verbreitete Meinung. Tatsächlich verbreitet er dieses Vorurteil so selbst noch weiter, obwohl real kein einziges Sozialprogramm wegen der Flüchtlinge gekürzt wurde.

Gabriels Attacken auf die Kanzlerin sind der Versuch, auch auf der populistischen Welle zu surfen - sehr ungelenk. Diese Welle reiten Horst Seehofer und die AfD weit besser.
nachrichten.red@volksfreund.de

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