Beck auf Bewährung

Die Lage eines Kapitäns, der in wilder Fahrt die Eisberge geschrammt hat und kurz vor dem Absaufen steht, wird man nicht gerade als stabilisiert bezeichnen können. Wasser sickert an vielen Stellen in das Schiff, ebenso viel (auch heiße) Luft entweicht.

Und auf der Brücke herrscht eine Stimmung wie kurz vor der Meuterei, die nur wegen aktueller Rettungsarbeiten nicht ausbricht.

Dennoch wäre es zu früh, Kurt Beck jetzt schon abzuschreiben. Man erinnere sich zurück an den Spätherbst, nach dem Hamburger Parteitag und nach dem gewonnen Machtkampf mit Müntefering. Keine sechs Monate ist das her. Da begann die Union zu zittern ob eines SPD-Vorsitzenden, der sich durchzusetzen wusste und wie nebenbei noch Themen für die Bundestagswahl besetzte. Da agierte Beck strategisch gesehen meisterhaft. Nun hat er in Hessen zwei grandiose Fehler hintereinander gemacht. Erst der aussichtslose Versuch, die Landesverbände zu verpflichten, nichts mit der Linken zu machen. Dann der Kursschwenk um 180 Grad, noch dazu mitten im Hamburger Wahlkampf. In Hessen bedeutete das Wortbruch, und dieser klebt nun zu Recht auch an Beck. Denn er deckt ihn. Zu allem Überfluss ging die Operation auch noch daneben. Das war höchst stümperhaft.

Es ist nicht endgültig ausgemacht, welche Wahrnehmung des sozialdemokratischen Spitzenmannes in einem halben Jahr vorherrschen wird, wenn die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur ansteht. Beck agiert bis dahin auf Bewährung. Sein Plus: Er hat durchaus, wie sich gestern bei seinem Presseauftritt zeigte, jene Dickfelligkeit, die schon einmal einen Pfälzer, Helmut Kohl, auszeichnete. Sein Nachteil: Er ist nicht mehr alternativlos. Mit Frank-Walter Steinmeier hat die SPD einen Mann in Reserve, der sich geschickt aus den Händeln der letzten Wochen herauszuhalten wusste. Steinmeier ist aber anders als Beck, der in Rheinland-Pfalz schon viele Wahlen gewonnen hat, nur bedingt nordkurventauglich. Jedenfalls hat er sich bisher noch nie bei einer Wahl durchsetzen müssen. Beck hat mit seinem Schlingerkurs vor allem eins verursacht: Nicht nur er, seine ganze Partei hat die Orientierung verloren. Die Flügelkämpfe sind mit großer Heftigkeit wieder ausgebrochen. Dabei galt gerade Beck als Vorsitzender, von dem man erwartete, er werde die SPD einen. Nun muss sich die SPD von der Spitze her neu sortieren, vor allem inhaltlich. Denn derzeit ist nicht einmal in Ansätzen klar, mit welcher Botschaft sie den Wählern 2009 kommen will. Eine Integration der Reformen, wie sie mit der Agenda 2010 beschrieben waren, mit dem Gerechtigkeitsthema, das immer mehr in den Vordergrund drängt, hat bisher nicht stattgefunden. Wenn Beck es nicht zusammen mit Steinmeier, Steinbrück und Nahles gelingt, bis zum nächsten Jahr eine Politik zu formulieren, die die vom Abstieg bedrohten Arbeitnehmer ebenso anspricht wie die bürgerliche Mitte, braucht keiner von ihnen als Kanzlerkandidat anzutreten. Sondern nur noch als Vizekanzlerkandidat.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort