Berliner Biotop

Das Wahlergebnis in Berlin lässt sich nicht so einfach auf andere Bundesländer oder gar den Bund übertragen. Nirgendwo sonst liegen so viele Parteien nah beieinander, was zuallererst mit dem speziellen Berliner Biotop zu tun hat.

Die Menschen, die in der Stadt leben, sind so vielfältig und unterschiedlich wie die Probleme, die es in Berlin gibt. Das spiegelt das Wahlergebnis deutlich wider. Der Hauptstadt stehen spannende Koalitionsverhandlungen bevor.

Aber: Frei von Wirkungen über Berlin hinaus ist das Resultat natürlich nicht. Aus dem Stand heraus hat es die AfD wieder in ein Landesparlament geschafft, und zwar zweistellig. Freilich sind die Rechtspopulisten unter den eigenen Erwartungen geblieben. Sie konnten die Union nicht überholen, auch keine andere etablierte Partei. Das war eines ihrer Ziele. Die Mobilisierung der Menschen, die sich in langen Warteschlangen vor den Wahllokalen gezeigt hat, hat sich diesmal offenbar gegen die AfD gewendet. Deutschland ist also noch lange nicht AfD-Land.

Die SPD kann mit dem Wahlausgang nur bedingt zufrieden sein. Sie ist zwar wieder stärkste Partei geworden und wird weiterhin den Regierenden stellen. Doch die Sozialdemokraten haben erneut kräftig eingebüßt. Für SPD-Chef Sigmar Gabriel zählt freilich nur, dass im Roten Rathaus weiter ein Sozialdemokrat den Ton angeben wird. Das ist etwas Rückenwind, den Gabriel innerparteilich dringend benötigt. Die rot-grün-rote Option, die in Berlin nun möglich ist, wird die Debatte über eine solche Koalition im Bund beflügeln. Der Druck auf Gabriel wird jedenfalls weiter wachsen, auf diese Konstellation zu setzen. Denn sie könnte der Strohhalm für die SPD sein, wenn es um die Macht geht.

Für die Union ist die Wahl indes ein erneutes Debakel. Raus aus der Regierung, rein in die Opposition. Zuallererst kann man das Ergebnis der desolaten CDU in der Hauptstadt anlasten und dem schwachen Spitzenkandidaten Frank Henkel. Aber wahr ist auch: Die Union insgesamt ist seit Monaten auf Talfahrt, nicht nur bei den Demoskopen. Nach den Urnengängen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern ist die Berlin-Wahl in diesem Jahr der vierte Rückschlag für Kanzlerin Angela Merkel. CSU-Chef Horst Seehofer hat bereits am Wochenende erneut heftig gegen Merkels Flüchtlingspolitik gewettert. Für die Kanzlerin wird es immer enger.

Grund zur Freude hat vor allem die FDP. Der Wiedereinzug in das Berliner Landesparlament erhöht die Chancen auf eine Rückkehr in den Bundestag. Entscheidend wird für die Liberalen allerdings ihr Abschneiden im kommenden Jahr bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in NRW sein. Von letzterer wird die größte Signalwirkung ausgehen für die Bundestagwahl im Herbst 2017. Und zwar für alle Parteien.
nachrichten.red@volksfreund.de

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