Das nächstes Level in der Diesel-Affäre

Gilt das Primat der Politik oder das der Bosse?

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: Mathias Krohn

Es ist normal, wenn zwei Minister nicht ganz einer Meinung sind. Zumal wenn der eine, Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), sich eher der Autoindustrie verpflichtet fühlt, und die andere, Barbara Hendricks (SPD), schon qua Beruf der Umwelt mehr Aufmerksamkeit widmet. Es ist auch verständlich, dass ein so fundamentales Problem wie die systematisch überhöhten Stickoxid-Ausstöße von Diesel-Motoren nicht von jetzt auf gleich lösbar ist.

Nicht normal, sondern regelrecht erbärmlich ist es aber, wenn eine Regierung im Angesicht der Nöte von Millionen Diesel-Autobesitzern, die um den Wert ihres Besitzes fürchten, und von vielen Millionen Stadtbewohnern, die von den Abgasen betroffen sind, nicht ernsthaft und entschlossen reagiert, sondern nur taktiert. Und neuerdings sogar Wahlkampf mit dem Thema betreibt. Nichts anderes ist es, wenn Ministerin Hendricks drei Wochen nach dem großen Dieselgipfel schon Berechnungen präsentiert, die belegen, dass dessen Ergebnisse so gut wie gar nichts bringen werden. Nicht, dass Hendricks Zahlen nicht stimmen, und nicht, dass ihre Aufforderung zu technischen Nachrüstungen nicht richtig wäre: Nur hätte sie das auch vor drei Wochen schon sagen können, ja müssen.

Jetzt kommt alles wieder ins Gespräch: Wertverluste, Fahrverbote in mindestens 70 deutschen Städten und neuerdings sogar noch der Hinweis, dass selbst die Anschaffung eines Euro-6-Fahrzeuges keine Lösung bringt. Maximale Verunsicherung. Und warum tut der Verkehrsminister weiter so, als reiche das aus, was man beschlossen hat, wider besseres Wissen? Ebenso ist es nicht normal, wenn die Industrie, die Verursacherin des Ganzen, glaubt, mit billigen Software-Updates davonzukommen. Oder mit Umtauschprämien, die nur dazu dienen, den eigenen Fuhrpark rasch noch zu verramschen - und die teilweise sogar noch mit den üblichen Rabatten verrechnet werden.

Das Spiel um den Diesel ist nicht beendet, im Gegenteil. Es erreicht gerade sein nächstes Level und wird, wenn es so weitergeht, auch noch zur Vertrauenskrise in den Staat. Gilt in Deutschland das Primat der Politik oder das der Bosse? Oder werden die Bürger von Industrie und Politik gar gemeinsam veräppelt? Diese Regierung ist im Amt, bis die neue gewählt wird. Das wird irgendwann im Herbst sein, wenn die Koalitionsverhandlungen beendet sind. Wahlkampf hin oder her - bis dahin hat die große Koalition die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, den Bürgern nicht Probleme aufzutischen, sondern sie zu lösen. Und wenn die beiden zerstrittenen Minister dazu nicht in der Lage sind, dann ist eben die Kanzlerin gefordert. Angela Merkel sollte noch vor dem 24. September Klarheit schaffen. Damit jeder Autobesitzer weiß, woran er ist. Aber auch jeder Wähler. nachrichten.red@volksfreund.de

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