Die Eingemauerten

Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der deutschen Politik, dass sie es längst mit einem Fünfparteien-System zu tun hat und trotzdem in den Lagerschablonen des vergangenen Jahrhunderts tickt.

Nicht zuletzt vier Jahre Große Koalition haben dafür gesorgt, dass die kleinen Parteien gar nicht mehr so klein sind. Doch statt die Verhältnisse aufzubrechen, betonieren sie die Abgrenzung. Schwarz-Gelb-Grün? Mit uns nicht, schworen erst am Wochenende wieder die Grünen. Ein Ampel-Bündnis mit SPD und Grünen? Kommt überhaupt nicht in Frage, hallte es zeitgleich vom Parteitag der FDP zurück. Keine will des anderen Mehrheitsbeschaffer sein. Das ist nicht nur schlecht für die Demokratie, die vom Wechsel lebt. Das ist auch gefährlich. Besonders für die FDP. Zweifellos hat die Große Koalition viel an Charme verloren. Reicht es nach der Wahl für Schwarz-Gelb, dann hätte Guido Westerwelle zunächst alles richtig gemacht. Wenn nicht, müsste seine Partei weiter in der Opposition schmoren. Das würde dem Chefliberalen erst einmal kaum schaden. Er hätte schließlich Wort gehalten. Nur was wäre langfristig damit gewonnen? In den Köpfen vieler FDP-Strategen geistert die Vorstellung, dass die SPD ein Ampelbündnis nur als Sprungbrett missbrauchen könnte, um nach der Hälfte der nächsten Wahlperiode gemeinsame Sache mit den Linken zu machen. Doch das ist kurzsichtig. Schon seit 1998 gibt es in Deutschland eine strukturelle Mehrheit links von Union und FDP. Es spricht manches dafür, dass aus der Rechenübung ein Modell für die Praxis wird. In Thüringen und im Saarland könnten demnächst rot-rot-grüne Regierungen an den Start gehen. Derweil kettet sich Guido Westerwelle an die Union. Das kann man als standhaft loben. Die Konsequenz heißt politische Einflusslosigkeit auf Dauer, was die Strahlkraft dieser Strategie erheblich mindert. Dabei könnte die FDP der drohenden linken Schlagseite wirkungsvoll Paroli bieten - als "rechtes" Korrektiv in einer Ampelregierung. SPD und Grüne müssten zu deutlichen Zugeständnissen bereit sein, damit die Liberalen ihr angestammtes Lager verlassen. Mit "Jamaika" verhält es sich umgekehrt genauso: Hier könnten die Grünen dafür sorgen, dass Union und Liberale ihre Politik dauerhaft sozial und ökologisch unterfüttern. Natürlich müssen die kleinen Parteien auch für ihre politische Wunschkonstellation werben dürfen. Sich darin einzumauern, widerspricht jedoch ihrer Logik: Das Ziel von FDP und Grünen besteht darin, die Neuauflage einer Großen Koalition zu verhindern. In Wahrheit drohen sie wieder zum Steigbügelhalter derselben zu werden. Der Leidensdruck muss wohl noch größer werden, damit sich Grüne und Liberale eines Besseren besinnen.

nachrichten.red@volksfreund.de

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