Die Kanzlerin im stillen Wahlkampf

Wer ist Martin Schulz? Wer Jean-Claude Juncker? Die Bundeskanzlerin führt Wahlkampf ohne anzugreifen - auch bei ihrem Auftritt in Trier.

Ist das Wahlkampf? Ist es kontrollierte Offensive? Ist es Selbstbewusstsein oder Überheblichkeit? In jedem Fall trat die Kanzlerin gestern in Trier sehr routiniert auf.
Auffällig: Der Name Martin Schulz fiel während ihrer Rede vor der Porta Nigra kein einziges Mal. Die SPD findet sich in einer kleinen Randnotiz, mehr nicht. Angela Merkel zeigt es nicht nur in ihren Reden: Sie sieht den Spitzenkandidaten der SPD nicht als ebenbürtigen Gegner. Das Fernsehduell hat sie - so zumindest die Umfragen - für sich entschieden. Und die Tatsache, dass sie in dieser Woche einem weiteren Duell eine Absage erteilte, überrascht nicht. Was konnte sie gewinnen? Und was kann sie dafür, welche Themen die Moderatoren ansprachen und wie lange sie sich dafür Zeit nahmen.
Stattdessen ziehen Schulz und Merkel wie alle Spitzenkandidaten durchs Land, um für sich zu werben. Durchaus beachtlich, wie viele Menschen sie anziehen, wie viele sie sehen wollen. Und das, obwohl bekannt ist: Große Überraschungen gibt es bei diesen Terminen selten. Auch den geschätzt 3500 Zuhörern in Trier gestern bot Merkel das gewohnte Programm. Aber vielleicht ist das sogar der Punkt, warum sie gekommen sind - und genau der, warum viele ihr Kreuz bei der CDU machen werden. Merkel strahlt Zuverlässigkeit aus. Ihre Anhänger applaudieren, sie wissen, was sie von ihr zu erwarten haben. Ein Plädoyer fürs Friedensprojekt Europäische Union kommt gerade in unserer Region gut an. Merkel steht zur EU. Sie kennt die entscheidenden Protagonisten. Sie weiß einzuschätzen, wer wann wie reagiert.
Und dennoch dürfte sie der Präsident der Europäischen Kommission überrascht haben mit seinen neuen Ideen. Jean-Claude Junckers Vorstoß für eine erweiterte Währungsunion war sicher nicht das, was Merkel sich jetzt gewünscht hat. Der Euro ist schon jetzt kein Lieblingsprojekt der Deutschen. Zumal er immer noch mit Geburtsfehlern zu kämpfen hat. Mit falschen Zahlen zur griechischen Wirtschaft. Mit großen Unterschieden zwischen den Ländern. Es war und ist immer noch ein Problem, dass es eine gemeinsame Währung gibt, aber keine gemeinsame Wirtschaftspolitik. Kaum ein Wirtschaftsexperte, kaum ein Politiker ist bisher auf die Idee gekommen, dass die Her-ausforderungen kleiner werden, wenn etwa Länder wie Rumänien oder Bulgarien ebenfalls den Euro einführen.
Juncker wollte visionär wirken - und doch hat er sich nun kräftig verhoben. Und Merkel? Erwähnte Juncker nur einmal kurz. EU ja, Euro für alle nein. Das sagt Merkel nicht. Vielleicht, weil sie davon ausgeht, dass ihre Haltung klar ist. Vielleicht aber auch, weil sie nicht mehr umschalten will - den Angriffsmodus gibt es nicht mehr, auch nicht an diesem Tag in Trier.

t.roth@volksfreund.de

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