Die Lobby fehlt - Warum in Deutschland immer mehr arme Kinder leben

Kinder haben keine Lobby. Gewiss, es gibt den Kinderschutzbund, das Kinderhilfswerk und zig weitere Organisationen, die sich einzig dem Kindeswohl verschrieben haben.

Doch ihr Einfluss ist offenkundig gering. Wie sonst könnte es immer mehr arme Kinder in einem Land geben, in dem prinzipiell kein Mangel herrscht? In dem man sich im Gegenteil die Köpfe darüber heiß redet, wie die milliardenschweren Steuerüberschüsse zu verwenden sind?
Hier läuft etwas ganz klar schief in der Gesellschaft. Das zeigen auch die schrägen Debatten der letzten Monate. Wenn von Armut die Rede ist, dann geht es fast ausschließlich um Altersarmut. Immer düstere Szenarien werden bemüht, um das Altern in Deutschland als einen quälenden Akt voller Not und Elend erscheinen zu lassen. Dass die ältere Generation zu den am wenigsten armutsgefährdeten Bevölkerungsgruppen zählt, wird schlicht ausgeblendet. Allerdings sind Rentner eben auch treue Wähler. Das macht sie für die meisten Parteien so enorm wichtig.
Dass etwa jedes siebte Kind in Hartz-IV-Haushalten aufwächst, ist derweil nicht erst seit der aktuellen Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung bekannt. Genauso wenig wie die traurige Tatsache, dass etwa 40 Prozent der Alleinerziehenden auf staatliche Grundsicherung angewiesen sind. Darüber gibt es Studien zuhauf. Nur scheinen sie maßgebliche Politiker nicht sonderlich zu kümmern. Die alarmierenden Fakten werden regelmäßig zur Kenntnis genommen - und zu den Akten gelegt.
Dabei hängt es gar nicht in erster Linie am Geld. Pro Jahr werden hierzulande etwa 200 Milliarden Euro für Kinder- und Familienpolitik ausgegeben. Diese riesige Summe fließt in mehr als 150 Leistungen, angefangen vom Kinderzuschlag über das Kindergeld bis hin zum Ehegattensplittung und der beitragsfreien Mitversicherung für Familienangehörige. Bereits vor drei Jahren kamen Soziologen in einer von der Bundesregierung selbst in Auftrag gegebenen Expertise zu dem Schluss, dass zahlreiche Vergünstigungen wirkungslos verpuffen. Wer denkt zum Beispiel bei einer angekündigten Kindergelderhöhung daran, dass gerade jene, die das Geld am nötigsten hätten, leer ausgehen, weil die Mehrleistung komplett mit der Grundsicherung verrechnet wird? Und wem ist schon bewusst, dass unverheiratete Paare nichts von der Ersparnis des Ehegattensplittings haben, obwohl sie genauso Kinder großziehen?
Familienpolitik muss endlich auch die Steuer- und Finanzpolitik stärker hinterfragen. Die beste Versicherung gegen Armut (natürlich auch im Alter) ist freilich ein ordentlich bezahlter Job. Um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, braucht es mehr Kitas mit jobtauglichen Öffnungszeiten und mehr Ganztagsschulen. Gerade dort können sozial benachteiligte Kinder besser gefördert werden. Auch diese Erkenntnisse sind übrigens nicht neu. Höchste Zeit, sich danach zu richten.
nachrichten.red@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort