Ein Armutszeugnis

Der öffentliche Dienst in Deutschland steckt in einem Dilemma: Als vor wenigen Jahren die Schulden hoch, eine schrumpfende Bevölkerung abzusehen und keine europäische oder geopolitische Bedrohung in Sicht waren, lautete Personalabbau die Devise. Gepaart mit Neuorganisation und Verschlankung von Strukturen und Behörden schien der Königsweg für die Zukunft gefunden worden zu sein.

Aber die Wirklichkeit zeigt heute ein anderes Gesicht.
Es gibt nun zu wenige Lehrer in den Schulen, zu wenige Ingenieure und Planer in den Verwaltungen und zu wenige Polizisten in der Fläche. Lediglich an der Verschuldung von Kommunen, Land und Staat hat sich kaum etwas geändert. Auch deshalb wird eine erneute Aufstockung der Lehrerstellen im Land ebenso zur Nagelprobe für die neue Regierung werden wie die dringend erforderlichen zusätzlichen Neueinstellungen bei der Polizei. Dass dies ebenso für die Landespolizei wie für die Bundespolizei gilt, ist bezeichnend. Deren grundsätzliche Zuständigkeiten unterscheiden sich zwar deutlich. Ursachen und Probleme sind aber sehr ähnlich.

So wurden in der 70er Jahren in der Hochphase des RAF-Terrorismus viele neue und junge Polizeibeamte zusätzlich eingestellt. Die sind mittlerweile in die Jahre gekommen. Weil danach aber nur noch zurückhaltend neues Personal eingestellt wurde, müssen in diesen Tagen oft 60-Jährige im Streifenwagen auf Verbrecherjagd gehen, randalierende Fußballrowdys auf dem Weg zum Stadion begleiten, oder jungen Taschendieben hinterherlaufen. Zusätzliche Dienste oder Abordnungen nehmen deshalb besonders die jüngeren Polizisten in Kauf. Mehrere Hundert Überstunden sind keine Seltenheit.

Nun hat die Landesregierung bereits im vergangenen Jahr erkannt, dass mehr Polizisten gebraucht werden. Die Zahl der Neueinstellungen liegt auf einem Rekordniveau, seit die Sozialdemokraten in Rheinland-Pfalz ohne Unterbrechung regieren. Ob das ausreicht, kann sich erst in zwei bis drei Jahren zeigen, wenn aus den Polizeischülern voll einsetzbare Polizisten geworden sind.

Diese zeitliche Verschiebung ist auch für die Bundespolizei ein Dilemma, die angesichts der immer noch unklaren Flüchtlingsproblematik in Europa besonders gefordert ist. Der Ärger vieler Polizisten über das Innenministerium von Thomas de Maizière ist berechtigt. Ein neuer Flughafen oder ein zusätzliches Rollfeld entsteht nicht von heute auf morgen, erzeugt aber deutlich mehr Personalbedarf bei der Bundespolizei. Das wird am Beispiel Flugplatz Frankfurt klar, wo 2200 Beamte im Einsatz sind. Zeit für eine vorausschauende Planung und Aufstockung des Personalbestandes wäre genug gewesen. Dass dies nicht passiert ist und Polizisten nun kurzfristig auch von den Grenzen abgezogen werden, ist ein Armutszeugnis und schadet der Sicherheit.
r.neubert@volksfreund.de

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