Ein Friedensprojekt gegen wachsenden Nationalismus

Warum die EU eine echte Chance verdient hat.

 Sabine Schwadorf

Sabine Schwadorf

Foto: Klaus Kimmling

60 Jahre Römische Verträge: Das sind 60 Jahre nachhaltigen Friedens in Europa, 60 Jahre zunehmender Verflechtung in Wirtschaft, Justiz und Kultur, 60 Jahre des Ringens und Streitens, aber vor allem des Miteinanderredens. Als vor sechs Jahrzehnten der Grundstein für die heutige Europäische Union gelegt wurde, hatten Deutschland, Luxemburg, Italien, Belgien, die Niederlande und Frankreich den erst zwölf Jahre hinter ihnen liegenden Zweiten Weltkrieg teilweise verarbeitet. "Nie wieder!" lautete die Devise. Nur wenige Zeitzeugen können sich noch daran erinnern, wie die einstigen Erbfeinde aufeinander zugingen und nur in der gegenseitigen Annäherung ihrer Volkswirtschaften eine Chance auf dauerhaften Frieden witterten. Alles Schnee von gestern?

Wer sich heute die Europäische Union anschaut, sieht die Wirtschaftsgemeinschaft am Scheideweg. Nationalisten in Ungarn und Polen, in Frankreich und Großbritannien, aber auch bei uns, bekommen immer mehr Zulauf. Statt des Einenden wird stets das Trennende hochgehalten. Inzwischen auf 28 Staaten angewachsen, wirkt das bürokratische Monster in Brüssel für viele unnahbar, träge und ineffektiv, hat nur jeder dritte EU-Bürger ein positives Bild von der Union.

Wer allerdings jemals versucht hat, im Alltag auch nur zwei Streithähne zusammenzubringen, um einen Konflikt zu schlichten und einen Kompromiss auszuloten, der wird in Ansätzen vielleicht ermessen können, wie unsäglich schwer dies für 28 Staaten in der Europäischen Union mit 24 verschiedenen Sprachen und für 500 Millionen Einwohner ist, deren Interessen alle annähernd gewahrt werden wollen.

Ja, die EU ist ein behäbiger Dampfer, ein bürokratisches Ungetüm - aber auch das Ergebnis dessen, was die Nationalstaaten aus ihr gemacht haben. Während die Menschen dank Reise- und Berufsfreiheit zusammengewachsen sind und von grenzüberschreitendem Verbraucherschutz und stetig gestiegener Wirtschaftsleistung profitieren, schotten sich die Regierungen zunehmend voneinander ab, um zu Hause bloß nichts umsetzen zu müssen, was sie in Brüssel mitentschieden haben. Schon lange marschieren die europäischen Staaten in unterschiedlichem Tempo in Richtung echter Union. Das Schengener Abkommen und der Euro sind die besten Beispiele dafür, machen schließlich noch längst nicht alle EU-Staaten da mit. Dies tut dem Bestreben nach größerem Zusammenwirken allerdings auch keinen Abbruch.

Wenn der europäische Gedanke eine echte Chance haben soll, muss sich die EU auf die wichtigsten Themen konzentrieren: eine gemeinsame Außenpolitik, eine einheitliche Asyl- und Einwanderungspolitik und eine konsequente Finanzpolitik. Dort, wo gemeinsames Abstimmen erforderlich ist, muss es durchgesetzt werden, wo nicht, bleiben die Nationalstaaten selbst verantwortlich. Eine Reform und eine größere Mitbestimmung der Menschen tut Not. Denn die EU ist kein Selbstzweck - oder qua ihrer Existenz unantastbar. Sie muss sich der Zukunft stellen und sich gerade auch über diejenigen Staaten erheben, die der Meinung sind, selbst Europa regieren zu müssen: Denn nichts anderes als nationale Egoismen sind der Brexit in Großbritannien und die Finanzkrise in Griechenland.

Optimistisch stimmt, dass inzwischen immer mehr der rund 500 Millionen Bürger in Europa erkannt haben, dass Wachstum und Sicherheit nur innerhalb einer EU eine Chance haben, dass sie ein Teil dieser Gemeinschaft sind und dafür wie etwa bei der Aktion "Pulse of Europe" auf die Straße gehen. Denn nur die EU, eine Wiederbelebung ihrer Werte und eine starke Bewegung für Demokratie und Menschenrechte sind das beste Gegenmittel gegen Nationalisten und Populisten. s.schwadorf@volksfreund.de

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