Eine Frage der Esskultur

Sicher, die Grünen haben mit ihrer Kritik recht, durch den gesamten Aktionsplan Ernährung zieht sich eine große Unverbindlichkeit. Zweifellos hat die Bundesregierung auch erhebliche Rücksicht auf Wirtschaftsinteressen genommen.

Allerdings wäre der Aufschrei wohl groß gewesen, wenn die zuständigen Minister Horst Seehofer und Ulla Schmidt versucht hätten, das Land mit neuen Vorschriften und Regeln über richtige und falsche Ernährung zu überziehen. Erinnert sei an die Debatte über die Rauchverbote, die viele bis heute quält.Die Regierung setzt auf freiwillige Vereinbarungen mit Ländern, Kommunen, Verbänden und Einrichtungen - und vor allem mit der Wirtschaft. Das wird schwierig genug, da es wie bei der Nährwertkennzeichnung meist um unterschiedliche Interessen geht. Trotzdem ist dies der bessere Weg, von gegenseitiger Gängelung hat schließlich niemand etwas. Schon gar nicht der Verbraucher. Der Staat tut dies übrigens auch nicht uneigennützig: Falsche Ernährung und Bewegungsmangel erhöhen die Krankheitsquoten, die Folgen belasten zunehmend die Sozialkassen. 70 Milliarden Euro kosten Diabetes, Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Probleme jedes Jahr.

Die Gesellschaft hat sich nun mal verändert, die Arbeitswelt, die Art des Essens und das Miteinander der Generationen. Viele Faktoren spielen eine Rolle, warum die Deutschen zu dick geworden sind; warum lieber zu Pizza, Burger und Döner gegriffen wird. Zentral dürfte jedoch der Wandel in den Familien sein. In immer weniger Haushalten werden Alltagskompetenzen wie die Zubereitung und Gestaltung von Mahlzeiten vermittelt. Sei es, weil beide Elternteile berufstätig sind und die Zeit fehlt, sei es, weil das Wissen darum verloren gegangen ist. Trotzdem: Für die heimische Esskultur sind und bleiben die Eltern zuständig, sie haben die Verantwortung für ihren Nachwuchs. Nur viel zu wenige scheinen ihr noch gerecht zu werden.

Das ist dann auch das große Manko des Aktionsplans: Von allem und jedem ist die Rede, aber nur nicht von den Eltern und ihrer wichtigen Rolle. Eine gesunde Schulverpflegung und kompetente Lehrer nützen nichts, wenn zuhause wieder die kalorienreichen Fertiggerichte aus der Mikrowelle auf den Tisch kommen. Eltern müssen begreifen, dass ausgewogene Ernährung für sie und ihre Kinder wichtig ist und sie eine Vorbildfunktion haben. Falls der notwendige Mentalitätswechsel ausbleibt, könnte also am Ende auch der wohlfeile Aktionsplan seine Wirkung verfehlen. Vorsorglich hat sich die Bundesregierung schon einmal einen Zeitraum bis 2020 gesetzt, um die Deutschen zum Umdenken zu bringen - Prinzip Hoffnung. nachrichten.red@volksfreund.de

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