Fünffache Null mit Risiken

Das Gefälle in EU-Europa könnte kaum größer sein. Während Griechenland am Abgrund steht und buchstäblich von der Hand in den Mund lebt, während die Regierung in Athen fieberhaft das letzte Geld zusammenkratzt, um Renten auszuzahlen und sich viele Hellenen sorgen, wie sie die nächsten Tage und Wochen überstehen sollen, gleicht Deutschland einem Wirtschaftswunderland.

Die Arbeitslosigkeit ist auf den niedrigsten Stand seit einem Vierteljahrhundert gefallen. Ein Beschäftigungsrekord löst den anderen ab. Entsprechend reichlich sind die Steuereinnahmen, derweil soziale Transfers im Sinkflug sind. Kein Zweifel, da lässt sich gut haushalten.
Das jüngste Zahlenwerk von Wolfgang Schäuble, das gestern vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, ist gewissermaßen ein Spiegelbild dieses Booms. In der Rubrik Neuverschuldung steht gleich fünf Mal in Folge eine dicke Null. Bis einschließlich 2019 will der Bund demnach keine neuen Kredite mehr aufnehmen. Bis dahin reicht die mittelfristige Finanzplanung. Zugleich kalkuliert der Bund mit einem Anstieg der Ausgaben um mehr als 30 Milliarden Euro - gemessen am laufenden Etat.
Sparsamkeit? Fehlanzeige. Von solchen Planungen hätten Schäubles Amtsvorgänger Hans Eichel und Peer Steinbrück wohl nicht einmal zu träumen gewagt. Allerdings sollte auch nicht unterschlagen werden, dass in Eichels und Steinbrücks Regierungsjahren unter der Chiffre Agenda 2010 hochumstrittene Reformen durchgezogen wurden, von denen der amtierende Kassenwart bis heute bei der Haushaltsaufstellung profitiert.
Zur Hilfe kommt Schäuble auch die extreme Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Waren im Jahr 2008 noch 40 Milliarden Euro auf die Verbindlichkeiten des Bundes fällig, so hat sich dieser Zinsbetrag aktuell beinah halbiert. Und das, obwohl der Bund in diesem Zeitraum wegen der Finanzkrise weiter Schulden anhäufte.
Wahr ist allerdings auch, dass den erfreulich vielen Beitragszahlern etwa in der Rentenversicherung noch vergleichsweise wenig neue Rentner gegenüberstehen. Dieses Verhältnis wird in absehbarer Zeit ungünstiger werden, weil die Baby-Boomer langsam ins Seniorenalter kommen, während die Beschäftigtenzahl künftig keine größeren Sprünge mehr macht. Durch die dann gebotene Anhebung des Rentenbeitrags wird kraft Gesetz aber auch ein höherer Steuerzuschuss für die Rentenkasse notwendig. Diesen Umstand kann die jüngste Finanzplanung nur andeutungsweise abbilden, weil sie stets auf vier Jahre im Voraus beschränkt ist.
Schäuble dürfte darüber nicht böse sein. Werden die haushälterischen Konsequenzen so doch garantiert zur Sache seiner Nachfolger. Unvorstellbar, dass sie genauso aus dem Vollen schöpfen können wie der heutige Minister - zumal den deutschen Steuerzahler spätestens ab 2020 auch die griechische Tragödie einholen wird. Dann soll Athen damit beginnen, seine Kredite aus dem ersten Hilfspaket zu tilgen. 2023 soll die Rückzahlung des zweiten Hilfspaktes starten. Allein dafür hat Deutschland insgesamt 53 Milliarden Euro vorgesehen. Kann Athen nicht zahlen, muss Berlin haften. Nicht mit einem Schlag, aber immerhin. Sicher ist das der schlimmste anzunehmende Fall. Doch wer wollte ernsthaft glauben, dass Griechenland vollständig für seine Schulden aufkäme?
nachrichten.red@volksfreund.de

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