Gaucks Rede, Merkels Bredouille

Das war eine große Rede. Wer sonst, wenn nicht der Bundespräsident muss die Verbindung herstellen zwischen dem, was vor 25 Jahren Deutschland bewegt hat, und was heute die Menschen in einer ähnlichen Dimension umtreibt.


Joachim Gauck hat zur Flüchtlingsfrage kluge Worte gefunden. Unsere Werte stehen nicht zur Disposition, unsere Möglichkeiten sind endlich. Da hat er recht. Freilich sind das Selbstverständlichkeiten. Viel wichtiger war: Gauck hat anders als viele in der Alltagspolitik den Bürgern Mut gemacht, dass auch das zusammenwachsen kann, was bisher nicht zusammengehört. Einfach wird das nicht. Einfach war es aber auch für Ost und West nicht, in einem Vierteljahrhundert Trennendes zu überwinden. Niemand wird hoffentlich bezweifeln, dass dies sehr erfolgreich gelungen ist.
Was der Bundespräsident bei den Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der Deutschen Einheit gesagt hat, beschreibt zugleich Angela Merkels Bredouille. Die Kanzlerin steht massiv unter Druck, in der Flüchtlingsfrage andere politische Signale zu setzen. Merkel wird von der Schwesterpartei getrieben mit immer härteren Angriffen. Selbst ans Grundgesetz will mancher CSUler jetzt die Hand anlegen. Das darf nicht sein. Die Attacken aus Bayern werden schließlich nicht nur geleitet von den Problemen des Freistaats mit Zigtausenden Flüchtlingen; die CSU wittert auch ihre Chance, sich selbst aus der bundespolitischen Bedeutungslosigkeit zu befreien und zugleich jene an sich zu binden, die rechts der Union auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat sind. Deren Zahl ist gewachsen, seit Merkel den Kurs der Union in vielen Bereichen verändert hat - Atomkraft, Wehrpflicht, Familienpolitik, Mindestlohn.
Wer jedoch wie die Christsozialen vor dem Stimmungswandel in der Bevölkerung warnt, der muss der Versuchung widerstehen, den Stimmungswandel zu befördern. Genau das macht die CSU in einer extremen Weise. Das muss sie sich vorwerfen lassen. Inzwischen gibt es allerdings auch Absetzbewegungen von Merkel in der CDU, es scheint, als sei sie nicht mehr unantastbar wie noch vor Monaten. Sogar die SPD wittert ihre Chance gegen die bislang als unschlagbar geltende Regierungschefin und setzt andere - innerparteilich zu Recht umstrittene - Akzente in der Flüchtlingspolitik. Die Gemengelage ist also für Merkel im Moment brandgefährlich.
Was tun? Dass die Kanzlerin die Probleme nicht sehen würde, glaubt doch keiner ernsthaft. Merkel muss jetzt zurück in die Offensive. Das bedeutet nicht zwangsläufig einen Kurswechsel. Aber sie darf die hitzige Debatte nicht länger laufen lassen. Sie muss sich mit klareren Worten als bisher positionieren und damit zurück in den Ring steigen. Ansonsten könnte ihr die Situation innerhalb der Union und der Koalition vollends entgleiten - mit schwerwiegenden Folgen für Amt und Würden.

nachrichten.red@volksfreund.de

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