Herz und Verstand

Der Krieg in Syrien hat viele schreckliche Gesichter. Unzählige Male sind Tod und Terror fotografiert, gefilmt und in sozialen Netzwerken oder anderen Medien dokumentiert und veröffentlicht worden.

Jeder dürfte wissen, wie unermesslich das Leid vieler Menschen in dem Land ist. Jeder Politiker, jeder Bürger. Allerdings ist das massenhafte Sterben in Syrien mittlerweile zur Randnotiz verkommen. Das Grauen ist so alltäglich, weshalb es oft nicht mehr wahrgenommen wird. Und wenn doch, berührt es die meisten kaum noch. Vielleicht ändert sich das jetzt.
Das Bild des kleinen Jungen, der verdreckt und apathisch in einem Krankenwagen sitzt, nachdem er einen Bombenangriff in der Hölle von Aleppo überlebt hat, ist nicht nur herzzerreißend. Es ist ein Bild von symbolischer Kraft. Es bündelt vieles in sich: Qual und Angst des Kindes, Horror des Krieges, Gefühle des Betrachters wie Mitleid, Trauer und auch Wut.
Es steht wahrscheinlich wie fast kein anderes Foto zuvor aus Syrien für das Versagen der Weltgemeinschaft, für staatliche und terroristische Brutalität, die keine Rücksicht auf Zivilisten nimmt. Auch nicht auf kleine Kinder, die das geschundene Land irgendwann einmal aufbauen müssen, falls sie den Alptraum überleben. Wer es von den politischen Akteuren in den Komfortzonen der Macht immer noch nicht begriffen hat, dass endlich alles für den Frieden in dem Bürgerkriegsland getan werden muss, sollte sich dieses Bild anschauen und an die Wand heften. Von Moskau über Damaskus bis Washington.
Es gibt Hoffnung, dass sich durch ein Bild etwas verändert. Wenn auch nur ein bisschen. Schon einmal gab es ein Foto, das gleichermaßen Herz und Verstand gepackt hat. Gemeint ist das des auf dem Bauch liegenden toten Flüchtlingskindes an einem griechischen Strand. Aufgenommen letztes Jahr. Damals ging ein Aufschrei um die Welt, die Flüchtlingskrise wurde emotional fassbar, hatte sogar ihren Namen: Aylan, drei Jahre alt, auf der Flucht ertrunken. Gewiss, das Foto hat das Drama im Mittelmeer nicht beendet. Eine Aufnahme allein schafft das nicht. Aber es hat die Not der Menschen und das immense Risiko, das sie eingehen, vielen bewusster gemacht.
Noch etwas: Gut, dass es die sozialen Netzwerke gibt. Zu Recht werden sie heftig dafür kritisiert, zur Enthemmung der Menschen beizutragen und teilweise nur noch Plattform von Pöbeleien und Angriffen zu sein. Aber der Welt - oder einem Teil davon - wäre das Bild des kleinen Jungen von Aleppo womöglich verborgen geblieben.
nachrichten.red@volksfreund.de

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