In Europas Seilschaft

Das besondere deutsch-französische Verhältnis ist zwar aus der Geschichte begründet und aus der direkten Nachbarschaft. Aber seine große Bedeutung liegt darin, dass hier die beiden stärksten Nationen in Europa zusammenwirken für Europa.

Das funktioniert nicht mehr, wenn eine der beiden schwach wird. In der Folge gibt es Meinungsverschiedenheiten, und der Reformprozess stockt. Außerdem: Seit der Gemeinschaftswährung Euro ist Europa eine Seilschaft. Wenn einer stürzt, zumal ein so großer, stürzen alle. Das ist die große Sorge. Was in Paris geschieht, ist deshalb keine französische Privatangelegenheit. So wenig wie es Griechenland oder Portugal waren. In einer Seilschaft darf man sich gegenseitig mahnen. Und auch kritisieren. Freilich ist die Frage, wer die Kritik übt. In Europa sollte sich keine Nation zur Übernation machen. Das erzeugt nur Abwehr. Der richtige Ort für die Auseinandersetzung um die langfristig wirkende Stabilitäts- und Wirtschaftspolitik ist einzig und allein - Brüssel. Dort muss über gemeinsame Wachstumsziele und Verschuldungsgrenzen geredet werden - verbindlicher als bisher. Auch Deutschland wird hier Kompromisse machen müssen. Das hilft mehr als oberschullehrerhafte Beiträge von außen über die französischen Reformnotwendigkeiten. Außerdem ist mancher kritische Ton aus Deutschland gegenüber Frankreich zu schrill, wenn man die Ausgangslage bedenkt. Erinnert werden muss daran, dass vor zwölf Jahren die Situation noch genau umgekehrt war: Deutschland der kranke Mann des Kontinents, Frankreich schneller wachsend. Es hatte aufgrund seiner besseren Familienpolitik überdies weit günstigere demografische Daten und hat sie noch heute. Das ist ein Langfristfaktor, den man in Deutschland noch gar nicht auf der Rechnung hat. So wie es Deutschland demnächst auch zurückwerfen kann, dass sich unter Angela Merkels Verantwortung langsam wieder ein Reformstau entwickelt, der sich aus überflüssigen Koalitionskompromissen (Betreuungsgeld) und überflüssigen Sozialgeschenken (Rente mit 63) speist, derweil bei der Infrastruktur von der Substanz gelebt wird. Wenn man mit dem Zeigefinger auf einen anderen zeigt, zeigen bekanntlich drei Finger zurück. Francois Hollande ist nach langem Zögern jetzt am Punkt, an dem Kanzler Gerhard Schröder im Jahr 2002 war. Das Reformprogramm, das Premier Manuel Valls umsetzen muss, ist genauso ehrgeizig wie seinerzeit die deutsche "Agenda 2010". Was Frankreich jetzt braucht, ist Zeit und Unterstützung. Schröder bekam sie damals auch, von Jacques Chirac. Denn in einer Seilschaft hilft man sich gegenseitig. Erst recht in der deutsch-französischen. nachrichten.red@volksfreund.de

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