Kühltruhen am Nordpol

Eine Grundsatz-Debatte über das Thema Arbeitszeit ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland im Moment so hilfreich wie eine Kühltruhe am Nordpol. Fakt ist: In vielen Bereichen wird längst ohne viel Federlesens bei Bedarf länger gearbeitet, als weltfremde Tarifverträge es vorsehen.

Vor allem in mittelständischen Betrieben haben Arbeitnehmer schon seit Jahren kapiert, dass das sture Beharren auf Besitzständen in der Insolvenz enden kann. Aber sie sehen im Gegenzug auch, dass ihr Chef um jeden Auftrag kämpft, dass er keinen Sport daraus macht, die Mitarbeiterzahlen zu dezimieren, dass nicht jedes Jahr ein teureres Auto in seiner Garage steht, letzlich: dass ihr Existenzkampf oft ein gemeinsamer ist.

Wer diese jenseits aller Formalitäten funktionierende Balance durch plakative Pauschal-Forderungen zum Gegenstand von Verbands-Interessen macht, setzt sie fahrlässig aufs Spiel. Dabei bräuchte die deutsche Wirtschaft dringend mehr konsensgesteuerte Prozesse zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern.

Wer, wie Verbandspräsident Ohoven, mal so eben das Opfern eines Urlaubstages oder, wie sein Kollege Kentzler, die 40-Stunden-Woche fordert, der übersieht einen entscheidenden Punkt: Dass die Verhältnisse in der deutschen Wirtschaft längst nicht überall so sind, dass man von den Arbeitnehmern guten Gewissens verlangen kann, freiwillig auf Ansprüche zu verzichten. Wo Abfindungen und Boni in sieben- oder achtstelliger Höhe bezahlt werden, wo Shareholder-Values steigen oder Eigentümer-Familien auf ihren Milliardenvermögen sitzen, da wird die Bereitschaft der Mitarbeiter zu Recht nicht sonderlich groß sein, mit einem zusätzlichen Arbeitstag oder wöchentlichen Extra-Stunden zum Wohlergehen des Unternehmens beizutragen.

Von der stillschweigenden Flexibilität des "kleinen" Mittelstands sollte man lernen, statt sie durch lautes Getrommel kaputtzumachen. Eine Erkenntnis, die auch der Politik nicht schaden könnte. Nicht zuletzt jenem Kanzlerkandidaten, der jetzt die "Allianz für den Mittelstand" propagiert, aber in seiner Regierungszeit mit Gerhard Schröder eine lupenreine Lobby-Politik für Großunternehmen und Geldwirtschaft betrieben und sich für den Mittelstand herzlich wenig interessiert hat.

d.lintz@volksfreund.de

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