Kein Grund für den großen Aufschrei

Da bleibt einem erstmal die Spucke weg. Bernie Ecclestone, allmächtiger Boss im Formel 1-Rennzirkus, zahlt sage und schreibe 100 Millionen Dollar (etwa 75 Millionen Euro) und verlässt als freier Mann das Gericht in München.

Wie kann das sein, fragt sich der deutsche Normalverdiener und fängt an zu rechnen. Mit 44 Millionen Euro soll der 83-Jährige den ehemaligen Chef der Bayerischen Landesbank bestochen haben. Der wurde zu mehr als acht Jahren Haft verurteilt, vor allem wegen der hinterzogenen Steuern. Und Ecclestone? Na gut, in der Portokasse wird auch der reiche Brite keine 100 Millionen haben, das tut sicher weh. Aber Hartz IV wird er deswegen sicher auch nicht beantragen müssen. Dennoch bleibt angesichts dieser Größenordnung irgendwie ein ungutes Grummeln im Bauch. Können sich Reiche in der Bundesrepublik freikaufen? Das ist nach diesem Aufsehen erregenden Urteil die Frage, die in der Öffentlichkeit heiß diskutiert wird. Sie ist allein deshalb von zentraler Bedeutung, weil unser gesamtes Rechts- und Gesellschaftssystem darauf aufgebaut ist, dass vor dem Gesetz alle gleich sind. Bei Licht besehen ist das allerdings häufig nur ein frommer Wunsch. Wer sich teure und hoch spezialisierte Anwälte leisten kann, hat natürlich erheblich bessere Chancen vor Gericht, als der gewöhnliche Angeklagte mit einem Pflichtverteidiger an seiner Seite. Egal, ob Bernie Ecclestone, Ulli Hoeneß oder Normalbürger Friedrich Kasulke vor dem Kadi stehen. Wobei es sich bei den Kasulkes hierzulande eher selten um Beträge im zwei- oder dreistelligen Millionenbereich handelt, sondern eher um kleine Betrügereien, Vergehen im Straßenverkehr oder eine überschaubare Steuerhinterziehung. Wäre man Fatalist, ließe sich im Fall des Formel 1-Chefs auch so argumentieren: Ecclestone ist 83, was hat so jemand noch im Knast zu suchen? Zumal das für den deutschen Steuerzahler nur unnötig teuer geworden wäre. So zahlt er 100 Millionen Dollar, und das Thema ist vom Tisch. Das alles kann man gut finden oder zum Heulen. Aber es gibt nun mal den Paragrafen 153 a der Strafprozessordnung, der so etwas möglich macht. Und ohne dieses Hintertürchen wäre das deutsche Gerichtssystem mit chronisch unterbesetzten Amts- und Landgerichten ohnehin längst zusammengebrochen. Dort sitzen in der Regel nicht die Ecclestones auf der Anklagebank, sondern die Maiers, Schmitzens und Schulzes dieser Republik. Und auch für sie gilt unter bestimmten Voraussetzungen der Paragraf 153 a. Also alles in allem kein Grund jetzt gequält aufzuschreien, weil der schwerreiche Brite nicht einrücken muss, sondern sich freigekauft hat - so wie im vergangenen Jahr allein in Bayern 6751 Angeklagte auch. Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff ist übrigens einen anderen Weg gegangen. Er hätte sich für 20 000 Euro vom Vorwurf der Bestechlichkeit freikaufen können und hat es nicht getan. Stattdessen bestand er auf das Gerichtsverfahren. Das Ende der Geschichte ist bekannt: Wulff wurde freigesprochen. d.schwickerath@volksfreund.de

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