Kommentar: Frankreich ist nur knapp an der Katastrophe vorbei geschrammt

Aufatmen in Europa. Emmanuel Macron hat die zweite Runde der Präsidentschaftswahl gewonnen. Das Erdbeben ist ausgeblieben. 60 Jahre nach ihrer Gründung ist die Zukunft der EU ist gesichert - zumindest vorerst.

 Christine Longin

Christine Longin

Foto: Redaktion

Denn dass es nicht so weitergehen kann wie bisher, haben die vergangenen Wochen gezeigt. Frankreich ist ein gespaltenes Land. Rund 35 Prozent stimmten in der zweitgrößten Volkswirtschaft Europas für eine Rechtspopulistin. Eine Frau, die die EU zerstören will. Eine Frau, die die Grenzen schließen will. Eine Frau, die auf plumpen Nationalismus setzt. Dass ihre Partei die Rechte Andersdenkender mit den Füßen tritt, hat sie in den Gemeinden gezeigt, in denen sie regiert. Nicht vorzustellen, was Marine Le Pens Front National mit Frankreich gemacht hätte. Das Land ist nur knapp an der Katastrophe vorbei geschrammt. Die Franzosen haben sich nicht für Emmanuel Macron entschieden, sondern gegen Le Pen.

Keine gute Ausgangssituation für den neuen Präsidenten. Emmanuel Macron hat nun fünf Jahre Zeit, um dem FN den Nährboden zu entziehen. Gemessen wird der jüngste Staatschef in der Geschichte des Landes vor allem an einem: der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Hier muss er die Ergebnisse bringen, die seine Vorgänger in den vergangenen Jahrzehnten schuldig geblieben sind. Nur wenn er es schafft, auch den Verlierern der Globalisierung eine Perspektive zu bieten, wird er den FN dauerhaft bekämpfen. Die Rechtspopulisten werden ihm dabei das Leben so schwer wie möglich machen. Marine Le Pen gab mit ihrem aggressiven Auftritt in der Fernsehdebatte bereits einen Vorgeschmack auf das, was den neuen Präsidenten und seinen Regierungschef in der Nationalversammlung erwartet. Von rechts Le Pen, von links der Extremist Jean-Luc Mélenchon: die Opposition wird Macron von beiden Seiten unter Beschuss nehmen.

Umso wichtiger ist für den Sozialliberalen deshalb die Unterstützung der EU. Auch in Brüssel darf es kein "Weiter so" geben. Der bekennende Europäer Macron will Deutschland auf Augenhöhe begegnen. Mit einem Defizit, das er endlich unter die Drei-Prozent-Marke drücken will, hat er dazu auch das Recht. Doch er wird auch einfordern: Vergemeinschaftung der europäischen Schulden, mehr deutsche Investitionen, weniger Handelsüberschüsse. Auch sein Vorgänger François Hollande hatte vor fünf Jahren ähnliche Forderungen, die schnell am deutschen Nein scheiterten. Diesmal muss Deutschland anders reagieren. Europa ist brüchig geworden. Die Briten haben der EU den Rücken gekehrt und Frankreich ist einem Frexit nur knapp entkommen. Es ist fünf vor zwölf. Und nur Deutschland und Frankreich gemeinsam können der EU eine Zukunft geben. Sie haben nun fünf Jahre Zeit dazu.

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