Kommentar: Odyssee in die Ungewissheit

Eine zweite Aufnahmeeinrichtung in Trier, Zelte in Bitburg, eine während der Sommerferien nicht genutzte Turnhalle auf dem Hahn und demnächst verlassene Kasernen in Hermeskeil und Kusel: In diesem Jahr verging kaum ein Monat, in dem die Zahl der Asylbegehrenden und der in diesem Zusammenhang benötigten Unterkünfte nicht nach oben korrigiert worden wäre. Dabei überrascht mitunter die knappe Zeitspanne zwischen der Bekanntgabe einer neuen Interimslösung und deren Vollzug.

Ist das Absicht der Behörden, um mögliche Proteste zu verhindern, oder Ausdruck des hohen zeitlichen Drucks, unter dem die politisch und organisatorisch Verantwortlichen stehen? Wohl beides.
Fakt ist, dass die Dimension des Themas Flüchtlinge lange Zeit unterschätzt wurde - auf europäischer, aber auch auf nationaler Ebene. Nahezu sämtliche Prognosen, die in der Vergangenheit abgegeben wurden, waren schon nach wenigen Tagen überholt. So geht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge derzeit etwa offiziell immer noch von 450 000 Asylanträgen in diesem Jahr aus, obwohl längst absehbar ist, dass es deutlich mehr sein werden. Das Nachsehen haben letztlich Bundesländer und Kommunen, wenn sie sich auf die daraus resultierenden Zuweisungszahlen verlassen. Sie müssen auch dafür sorgen, dass die Flüchtlinge zunächst einmal menschenwürdig untergebracht werden. Zustände, wie sie derzeit in vielen hoffnungslos überfüllten Aufnahmeeinrichtungen herrschen, sind inakzeptabel. Wer vor Krieg, Folter und Unterdrückung aus seinem Heimatland geflohen ist, wer alles zurückgelassen hat, um nach einer manchmal monatelangen Odyssee in der Ungewissheit zu landen, hat ein Anrecht auf eine menschenwürdige Unterkunft, eine gute Verpflegung, medizinische Versorgung und rücksichtsvolle Behandlung, bis über seinen Asylantrag entschieden ist. Je dezentraler die Flüchtlinge untergebracht sind, desto leichter dürfte dies zu erfüllen sein, auch wenn wirklich ein paar Tausend Menschen mehr kommen als zunächst vorausgesagt.
Dass in der aktuellen Diskussion häufig zwischen politisch Verfolgten und Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden wird, ist angesichts der angespannten Lage nachvollziehbar.
Gerade im Gebiet Eifel, Mosel, Hunsrück sollte allerdings bedacht werden, dass einst Tausende Menschen aus dieser Region nach Nord- und Südamerika ausgewandert sind, weil sie zu Hause keine Arbeit fanden und ihre Familien nicht ernähren konnten. Auch sie waren klassische Armutsflüchtlinge, denen irgendwo anders eine Perspektive eröffnet wurde.
r.seydewitz@volksfreund.de

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