Kommentar: Revolutionäre Kursbestimmung - Warum die Trierer Synode bundesweit bald Nachahmer finden könnte

Trier · Gut möglich, dass der Trierer Bischof und sein Synoden-Team eine Weile brauchen werden, um wirklich zu begreifen, was sie da gewagt, geleistet und erreicht haben. Das nach unermüdlichen Debatten in einem wahren Beratungsmarathon verabschiedete Schlussdokument der Trierer Bistumssynode ist eine kirchliche Standort- und Kursbestimmung, die weit über die Grenzen der Diözese hinaus- und tief in den katholischen Raum hineinwirken wird.

Die am Ende des Ringens um Inhalte und Formulierungen erzielten Zustimmungswerte von über 90 Prozent für das Papier sind sensationell, seine Inhalte geradezu revolutionär.
Das gilt gar nicht einmal so sehr für die angestrebte Reduzierung der knapp 900 Pfarreien auf 60. Eine solche oder ähnliche Reform der Verwaltungsstrukturen drängte sich bei den vielen Kirchenaustritten und dem wenigen Priesternachwuchs schon länger auf. Wirklich überraschend und für die katholische Kirche in Deutschland bislang beispiellos ist vielmehr der - im Dokument auch so bezeichnete - mehrfache Paradigmenwechsel.

Kurz gesagt: Die Trierer Kirche will nicht länger gewohnte Strukturen, Standards, Besitzstände und Routinen bedienen, die viel Kraft kosten und den Eindruck erwecken, der Kirche gehe es in erster Linie um sich selbst. Genau davon wird Abschied genommen. Stattdessen soll die Kirche radikal den einzelnen Menschen in den Blick nehmen und - Zitat - "auch die Begegnung mit den verwundeten, an den Rand gedrängten, armen, benachteiligten Menschen suchen". Na, wenn das nicht den Geist von Franziskus atmet!

Wozu der Papst seit seiner Wahl ermutigt ist bekannt. Aber wie es scheint, ist die Trierer Ortskirche die erste, die sich der von Franziskus eingeforderten Verantwortung stellt und die damit einhergehenden Freiheiten für sich in Anspruch nimmt. Denn auch innerkirchlich gelten im Bistum Trier künftig neue Perspektiven: die Mitwirkungsrechte der Laien, sprich: eines jeden getauften, gläubigen Christen, werden massiv gestärkt, Berührungsängste und Tabus abgebaut und eine weitreichende Öffnung der katholischen Kirche eingeleitet. Wenn das mal nicht rasch Nachahmer in anderen deutschen Bistümern nach sich zieht!

Dass sich die Synodalen so radikal und mutig positionieren, hat nicht zuletzt mit ihrem Oberhirten zu tun: Bischof Stephan Ackermann hat allein mit seiner frühen Ankündigung, sich an die Beschlüsse des Gremiums halten zu wollen, eine Ermutigung sondergleichen ausgesprochen. Und dann im - auch kontroversen - Synodenprozess, weitgehend darauf verzichtet, Passagen zu streichen. Das tat er - siehe wiederverheiratete Geschiedene - nur dort, wo er die Befugnisse des Bistums schlichtweg überschritten sieht.

Nun muss die Trierer Kirche also darangehen, die Beschlüsse der Synode umzusetzen. Drei bis fünf Jahre veranschlagt die Leitung dafür. Wie gut es klappt und ob dabei das teils verstaubte Image einem echten, befreiten, fröhlichen kirchlichen Leben weicht, hängt auch davon ab, ob es gelingt, die Gläubigen mitzunehmen. Speziell diejenigen - oft älteren - Katholiken, die bislang noch das "Stammpublikum" an Altar und Kanzel bilden. Sie sind darin geübt, kirchliche Bürden geduldig zu ertragen. Aber auch bereit, sich vom Funken des Neuen anstecken zu lassen?

Aber was heißt hier schon neu? Im Prinzip ist der radikale Ansatz der Synode - und auch das wieder ganz im Sinne von Papst Franziskus - eine Hinwendung der Kirche zu ihren ganz frühen Wurzeln. Und dann gilt ja vielleicht auch noch eine wichtige Tradition: Die Kirche hofft, dass ihr immer dann, wenn sie als Ganzes berät und betet (in einer Synode zum Beispiel), der von Jesus Christus zugesagte Heilige Geist zu Hilfe kommt. Gut möglich, dass er bei der Umsetzung der Beschlüsse erst recht gebraucht wird.
m.pfeil@volksfreund.de

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