Meinung: Die falschen Feinde - Eine freie Gesellschaft beugt sich weder Fanatismus noch Vorurteilen

Nein, pauschale Ausländerhetze, die undifferenzierte Gleichsetzung von Religion und mordrünstigem Religionswahn ist nicht die Antwort auf das Massaker in Paris. Wenn es überhaupt eine Antwort gibt, dann diese: Eine freie Gesellschaft beugt sich weder blindem Fanatismus noch rassistischen Vorurteilen.

Dass der blutige Anschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo dennoch europaweit Ängste weckt, ist völlig normal. Terror und Hass - egal ob dem dschihadistischen oder anderen Milieus entsprungen - sind unberechenbar. Das Teuflische dabei ist, dass die Täter damit besonders jene treffen und dem Misstrauen breiter Bevölkerungsschichten aussetzen, deren Religion sie besudeln. In dieser Mischung aus Unsicherheit und Entsetzen, jenem Klima also, das die Attentäter bewusst herbeiführen wollten, wächst natürlich die Sehnsucht nach allumfassender Sicherheit. Eine Sehnsucht, die nicht zu erfüllen ist.

Aber hüten wir uns vor Hysterie und richten jenseits aller Emotionen, die uns in diesen Tagen bewegen, einen nüchternen Blick auf Deutschland.

Als Top-Exportnation profitiert die Bundesrepublik besonders stark von der Globalisierung. Offenheit und Kontakte mit und in alle(r) Welt sind für uns lebenswichtig. Während andere Teile der Erde in Krieg und Chaos versinken, leben wir in Frieden, Freiheit und Wohlstand - gemeinsam mit vier Millionen Menschen muslimischen Glaubens. Nicht immer und überall konflikt- und diskriminierungsfrei, aber doch überwiegend bemüht, Spannungen auszugleichen.

Die Zahl der Beschäftigten in Deutschland hat auch durch den Zuzug von Ausländern ein Rekordhoch erreicht, und die Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass sich dieser Trend noch weiter fortsetzt. In den letzten sieben Jahren hat die Industrie 2,3 Millionen zusätzliche reguläre, also sozialversicherungspflichtige, Jobs geschaffen. Jugendliche in Deutschland finden anders als ihre Altersgenossen in Frankreich, Spanien oder dem EU-Wackelkandidaten Griechenland relativ problemlos Ausbildungsplätze. In der Region Trier ist das Angebot jetzt schon größer als die Nachfrage. Es geht uns gut hierzulande. So ganz von selbst kann das ja nicht gekommen sein. Bei aller gebotenen immerwährenden politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung, bei allen größeren und kleineren Ungerechtigkeiten, bei manchem persönlichen Unmut über politische Entscheidungen und deren Folgen sieht es doch so aus, als dass wir in den 25 Jahren nach der Wende gar nicht so schlecht regiert wurden.

In unserem wiedervereinigten Land dürfen selbst die ihre Meinung sagen, die gar nicht so genau wissen, was sie eigentlich wollen. Die beispielsweise in Dresden auf der Straße ,,Putin-hilf-uns"-Transparente vor sich hertragen, damit eine Abkehr von Demokratie und Selbstbestimmung fordern, gleichzeitig aber auf ihr demokratisch verbürgtes Demonstrationsrecht pochen. Die sich patriotische Europäer nennen und den Widersinn dieser Wortschöpfung offenbar nicht einmal begreifen. Was denn nun: vaterländisch oder europäisch? Die die etablierte Politik, dank derer sie maximale Freiheit genießen, als ,,Vaterlandsverräter" und die Medien pauschal als ,,Lügenpresse" verunglimpfen. Beide Begriffe entstammen originalgetreu dem Vokabular des nationalsozialistischen Verbrecherregimes. Die Flüchtlingen - Moslems wie Christen -, die gerade den islamistischen Schlächtern entkommen sind, das Grundrecht auf Asyl verweigern wollen, weil ausgerechnet jene Hilfesuchenden Deutschland ,,islamisieren" könnten.

Sie werden am Montag wieder demonstrieren, wahrscheinlich in noch größerer Zahl, weil sich auch die abscheulichste Tat noch instrumentalisieren lässt - demonstrieren gegen die falschen Feinde. Frei nach dem Motto, wo fremd draufsteht, ist Terror drin. So einfach kann man sich die komplizierte Welt zurechtschnitzen.
Und die Erde ist eine Scheibe.
i.funk@volksfreund.de

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