Nach Diktat verreist

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Dieses Prinzip steht am Anfang der fast fünfjährigen Geschichte der Troika.

Es ist auch nicht verwerflich, jemandem über die Schulter zu schauen, dem man einen dreistelligen Milliardenbetrag überweist. Insofern war der Grundgedanke im Frühjahr 2010 nicht grundfalsch: Die Euro-Gemeinschaft leiht Griechenland Geld, um die Staatspleite und einen Kollaps des ganzen europäischen Bankensystems abzuwenden, später auch Irland, Portugal, Spanien und Zypern. Und sie beauftragt gleichzeitig EU-Kommission, Europäische Zentralbank und Internationalen Währungsfonds, beim Abbau der Verschuldung beratend zur Seite zu stehen und die Fortschritte zu bewerten. So weit die Theorie.
In der Praxis fanden sich die Finanzexperten der drei Institutionen in anderer Rolle wieder. Die Drecksarbeit wurde von Merkel, Sarkozy, Schäuble, Juncker & Co. auf sie abgewälzt.
Sie, die niemand gewählt hatte, machten Politik, entwarfen Gesetze, Reformen oder Sozialkürzungen, die im Parlament des Landes verabschiedet werden mussten, damit die nächste Hilfsmilliarden-Rate nicht ausblieb.
Die Bürger erleben Europa nicht mehr als Retter in der Not, sondern als jemanden, der eine Notlage ausnutzt, um seinen Willen durchzusetzen. Die Herrscher sind auch nicht greifbar, da sie nach Diktat wieder abreisen. Für die europäische Sache besonders fatal: Regierungen können auch eigenes Versagen den gesichtslosen Euro-Technokraten anlasten - wie bei der Nichtbesteuerung hochvermögender Griechen.
Die Troika machte es ihnen in ihrer wirtschaftspolitischen Eindimensionalität auch zu einfach. Kürzen, entlassen, privatisieren, reformieren - statt großer Kreativität, um die große Krise zu meistern, regierte große soziale Unausgewogenheit. Das Europaparlament hat der Troika schon vor einem Jahr bescheinigt, bei der unmittelbaren Kriseneindämmung gute Arbeit geleistet zu haben. Verdammt wurde hingegen das Fehlen jeglicher Rechenschaftspflicht. Zu Recht! Entscheidungen dieser Tragweite müssen demokratisch kontrolliert und öffentlich debattiert werden. Das war auch der Grund, warum Kommissionschef Jean-Claude Juncker bei Amtsantritt - und nicht erst an diesem Wochenende - Veränderungen in Sachen Troika versprochen hat. Mit ihrer Abschaffung könnte man der neuen griechischen Regierung entgegenkommen, die sich im Gegenzug zur Rückzahlung ihrer Schulden bekennen müsste.
Von bewährten Strukturen zu sprechen, wie das Bundesfinanzministerium dies tut, ist ein Hohn. Der Vertrag über den Euro-Rettungsschirm kann leichter geändert werden als der EU-Vertrag. Wie aber könnte eine demokratischere Politiküberwachung im Euroraum aussehen, in Ermangelung einer politischen Union? Die Europäische Zentralbank dürfte sich ohnehin bald verabschieden: Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof hält ihre Rollen als Politikberater und Staatsanleihekäufer für unvereinbar. Knackpunkt bleibt daher die Beteiligung des Währungsfonds, einst von Kanzlerin Merkel wegen seiner Expertise in Krisensituationen ins Boot geholt. Nach fünf Jahren verfügt die EU-Kommission auch darüber, die als einzige Troika-Teilnehmerin einem Parlament verantwortlich ist. Sie gilt vielen in Berlin als zu weich im Umgang mit Kreditnehmern. Das ist ein Argument, das nach der Wahl in Athen überdacht werden sollte.
nachrichten.red@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort