Nur noch Stromlinienform?

Dass die Schlagzeilen "Volksparteien verlieren immer mehr Mitglieder" und "SPD schließt Clement aus" in der gleichen Woche erscheinen, kann man als Zufall abtun. Aber es ist keiner.

Der geplante Rausschmiss des einst als potenzieller Kanzler gehandelten Ex-"Superministers" wegen Verstoßes gegen die Partei-Solidarität wirft ein bezeichnendes Licht auf das heutige Selbstverständnis von Parteipolitik. Gewünscht sind stromlinienförmige Parteisoldaten, die sich per Ochsentour vom Plakatkleber und Ortsvereinskassierer zum Kommunalmandatsinhaber und bei tadelloser Führung und langjähriger Geduld auch zum Parlamentarier hochdienen. Eigene Meinung ist da nicht gefragt, und wenn, dann höchstens bei internen Meinungsbildungs-Prozessen. Danach hat man gefälligst jede Entscheidung und Personalie mitzutragen, auch wenn man sie für unvertretbaren Unfug hält. Selbst ein einfaches Parteimitglied - mehr war Clement zuletzt nicht mehr - darf offensichtlich, wenn sein Verein irgendwo irgendwen für irgendein Amt nominiert, nicht öffentlich zum Ausdruck bringen, dass es Zweifel an der Eignung und Wählbarkeit gibt. Ein solches Verständnis von Solidarität mag zu Zeiten von August Bebel und Friedrich Ebert seinen Sinn gehabt haben. Mit Partei-Arbeit in einer modernen Demokratie hat es nichts zu tun.

Leider sind es nicht nur ein paar hinterwäldlerische SPD-Apparatschiks im Ruhrpott, die eine Partei noch als unentrinnbare Schicksalsgemeinschaft betrachten. Wer je den sichtlichen Widerwillen führender CDU-Funktionäre im Umgang mit unbequemen Köpfen wie Geißler oder Blüm beobachtet hat, ahnt, dass nur die Angst vor der öffentlichen Reaktion die Zuchtmeister der Partei davon abhält, die renitenten Alten vor die Tür zu setzen. So klug ist man immerhin. Bei der SPD langt es selbst dafür nicht.

Dabei müssten die Volksparteien mit der Lupe Ausschau halten nach Querdenkern und Trotzköpfen, nach Seiteneinsteigern und Infragestellern, anders formuliert: nach Menschen, die bereit sind, ihren Verstand in die Parteiarbeit einzubringen, aber nicht, ihn auf der Kreisgeschäftsstelle abzugeben oder einer Schiedskommission zur Bewertung vorzulegen. Wer solche Leute nicht aushält, kriegt die Qualität von Politik(ern), die wir derzeit oft haben.

Mag sein, dass Wolfgang Clement der SPD wirklich geschadet hat. Zum Beispiel dadurch, dass er wie sein Kanzler nach dem Abgang von der Regierungsbank stante pede beim nächsten Energieriesen-Aufsichtsrat anheuerte. Und damit bewies, dass der Weg von der Regierungs-Schutzmacht des kleinen Mannes zum Lobbyisten für die Großindustrie zwar ein großer Sprung für SPD-Stammwähler, aber nur ein winziger Schritt für sozialdemokratische Minister ist. Doch dann käme sein Ausschluss um Jahre zu spät.

d.lintz@volksfreund.de

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