Sackgasse Abschottung: Europas altes Asylsystem ist am Ende - Wie könnte ein neues sein?

Unter der Wucht der Menschenmengen löst sich vor unseren Augen ein System auf, dem niemand eine Träne hinterherweinen sollte. Das für Deutschland lange so bequeme EU-Regime, das Asylverfahren dort abwickelt, wo die Flüchtlinge an Land kommen, ist gescheitert.

Die verzweifelten Maßnahmen, das Regelwerk doch noch durchzusetzen, führen auf Lesbos, in Calais, Budapest oder Heidenau zu Szenen, die alle Werte verhöhnen, die Europa für sich in Anspruch nimmt. Was ist zu tun?
Die Bekämpfung der Fluchtursachen darf nicht Thema in Sonntagsreden sein. Sollen wirklich mehr Menschen in ihrer Heimat frei von Verfolgung und Zukunftsangst sein, muss in Friedens- und Aufbauarbeit investiert, darf nicht wie zuletzt Entwicklungshilfe gekürzt werden. Handelsverträge, die lokale Wirtschaftsstrukturen zerstören, müssen neu verhandelt werden.
Und so richtig es ist, dass die EU etwa den Krieg in Syrien nicht angezettelt hat: Es hilft auch nicht, dass an allen Unruheherden der Welt Waffen "made in Germany" im Überfluss vorhanden sind.
Zur besseren Konfliktprävention bräuchte es auch eine einheitliche EU-Außenpolitik. Nichts davon ist über Nacht zu verwirklichen. Der Migrationsdruck wird anhalten, Europa verändern und innere Konflikte schüren - auch hierzulande wird Joachim Gaucks helles Deutschland der Willkommensfeiern auf die Probe gestellt werden.
Die faire Verteilung ist der Schlüssel zur gesellschaftlichen Akzeptanz, die in vielen EU-Staaten ganz fehlt. Kurzfristig muss es daher Hauptaufgabe der Politik sein, einen verbindlichen Verteilungsschlüssel zu beschließen.
Die Blockierer brauchen Druck: Polen und Balten fordern im Konflikt mit Russland Militär, die Briten wollen einen neuen EU-Vertrag, Balkanstaaten den Beitritt. Ihnen muss klar werden, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist oder - wie im Falle Serbiens - Angehörige der Roma in einem Beitrittsland so behandelt gehören, dass sie keinen Grund zur Flucht haben.
Eine faire Verteilung hängt auch an vergleichbaren Aufnahmestandards, sonst wird das reiche Deutschland alleiniges Wunschziel bleiben. Ohne technische und finanzielle Hilfe für Unterbringung, Verpflegung und Abwicklung der Asylverfahren wird das nicht zu haben sein.
Die Verfahren müssen überall in Europa kürzer werden. Das nähme nicht nur den Bewerbern die Unsicherheit, sondern beschleunigte auch die Integration und verringerte den Anreiz, trotz schlechter Asylchancen auf eine längere Sozialhilfezahlung zu spekulieren. Idealerweise würde der Asylanspruch schon in UN-Flüchtlingslagern oder EU-Botschaften vor Ort geklärt; anerkannte Bewerber gelangten dann über geregelte Fähr- oder Zugverbindungen ohne Todesgefahr nach Europa.
Für reine Armutsflüchtlinge, deren Motivation nicht weniger verständlich ist, bietet das Asylrecht aber keinen Platz. Kleinere Kontingente müsste es, an der Nachfrage der Wirtschaft orientiert, auch für sie geben.
Nur diese Kombination und nicht ein Militäreinsatz im Mittelmeer könnte dem Geschäftsmodell der Schleuser den Boden entziehen.
Es ist eine Binsenweisheit, dass Europa nicht jeden aufnehmen kann. Die aktuellen Zahlen aber sind unter der Voraussetzung bewältigbar, dass es in Europa selbst gerechter zugeht als jetzt. Das gilt nicht nur für die Verteilung der Flüchtlinge, sondern für die ökonomischen Perspektiven der Europäer selbst.
Wer sich als wirtschaftlicher Verlierer fühlt, sieht leider oft einen Konkurrenten, nicht einen Schutzbedürftigen. Europa muss sich also in vielerlei Hinsicht ändern, will es die Generationenaufgabe meistern, für die keine Generation Zeit ist. Die Abschottung hat sich als Sackgasse erwiesen.
Mehr Öffnung, mehr Solidarität, mehr Europa ist nötig. Ob es im aktuellen Zustand die Kraft dazu findet, steht in den Sternen. Zu wünschen wäre es.
nachrichten.red@volksfrund.de

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