Streit um Entlastung und Erhöhung

Berlin · Kommt 2017 doch wieder ein Steuerwahlkampf, der erste seit der erfolgreichen Kampagne von Guido Westerwelle (FDP) im Jahr 2009? Immer mehr Konzepte werden dazu von den Parteien veröffentlicht, das jüngste am Montag von der Mittelstandsvereinigung der CDU.

Der größte Unterschied zwischen allen Steuerkonzepten: Die Unionsparteien CDU und CSU lehnen weiterhin Steuererhöhungen strikt ab. Ihre Modelle sehen ausschließlich Entlastungen vor. SPD, Grüne und Linke setzen hingegen auf einen Mix aus Steuererhöhungen für Reiche und Hilfen für Arbeitnehmer und Familien. Strittig ist jedoch selbst in der Union, wie groß die Spielräume für niedrigere Steuern sind. Zwar steigen die Einnahmen des Fiskus jährlich um rund 27 Milliarden Euro und liegen 2020 voraussichtlich um 135 Milliarden höher als 2015. Doch wird auch mehr Geld für die innere und äußere Sicherheit und die Flüchtlingsintegration benötigt; die gesetzlichen Ansprüche an den Staat steigen ebenfalls.

Die CDU-Mittelstandsvereinigung (MIT) will den Bürgern ein Drittel der Steuermehreinnahmen "zurückgeben", wie es hieß. In der Endstufe im Jahr 2020 wären das rund 40,7 Milliarden Euro, aber eben abhängig von der Entwicklung. Eine Durchschnittsverdiener-Familie würde um 1772 Euro Steuern entlastet. Die Werbungskostenpauschale soll sofort nach der Wahl von 1000 auf 2000 Euro angehoben werden. 65 Prozent der Steuerzahler müssten dann keine Belege mehr sammeln. Im zweiten Schritt will die MIT dann 2019 den Einkommenssteuertarif "abflachen", also weniger steil mit dem Einkommen ansteigen lassen. Der Spitzensteuersatz würde erst ab 60 000 Euro Jahreseinkommen statt jetzt 53 666 Euro fällig. Zuletzt will der CDU-Mittelstand dann noch den Kinderfreibetrag von derzeit 7248 Euro auf den Grundfreibetrag der Erwachsenen (8652 Euro) anheben, was Familien helfen würde. Die CSU hatte vor drei Wochen mit dem "Bayern-Tarif" ein ähnliches Konzept präsentiert, nur schlägt sie für Familien ein "Baukindergeld" zur Eigenheimförderung vor.

Die Grünen sind auf der linken Seite scheinbar am weitesten mit ihrem Programm; eine von Parteichefin Simone Peter geleitete Kommission hat Anfang Juli ein Konzept vorgelegt. Allerdings blieb darin offen, ob eine Vermögenssteuer (ein Prozent auf Vermögen ab eine Million Euro) ins Wahlprogramm kommt, oder eine Anhebung der Erbschaftssteuer. Hier denkt man über eine "Flat-Rate" von 15 Prozent auf alle hohen Erbschaften nach. Auch die von den Grünen geforderte Abschaffung der pauschalen Abgeltungssteuer von 25 Prozent schlägt bei den Reichen zu Buche, die dann ihren individuellen Steuersatz auf Zinseinkünfte zahlen müssten. Der Spitzensteuersatz soll über 100 000 Euro Jahreseinkommen ebenfalls angehoben werden, wie hoch ist offen. Im Rahmen einer "ökologischen Finanzreform" wollen die Grünen zudem "schädliche" Subventionen abbauen, darunter das Dienstwagenprivileg.
In der SPD arbeitet Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel an Vorschlägen, die im Herbst vorgestellt werden sollen. Klar ist schon das Ende der Abgeltungssteuer. Außerdem geht die Tendenz in Richtung Vermögenssteuer, wobei die SPD eine einprozentige Abgabe erst ab zwei Millionen Euro Vermögen ansetzen will. Parteichef Sigmar Gabriel verlangt aber, dass sie so gestaltet wird, dass Betriebe nicht geschädigt werden. Im Gegenzug will die SPD ebenfalls die Einkommenssteuerkurve abflachen. Alternativ oder ergänzend soll es Entlastungen bei den Sozialbeiträgen durch höhere Freibeträge geben.

Die Linke will erklärtermaßen eine "aufkommensneutrale" Reform. Kleine Einkommen sollen massiv entlastet, höhere massiv belastet werden. "Ab einem Jahreseinkommen um die 70 000 Euro tut es niemandem weh, mehr Steuern zu zahlen", erklärte Parteichef Bernd Riexinger und schlug neben der Abschaffung der Abgeltungssteuer unter anderem eine fünfprozentige Vermögenssteuer (ab eine Million Euro) sowie die Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 53 Prozent ab 70 000 und sogar von 70 Prozent ab einer Million Euro Jahreseinkommen vor.Meinung

Der Mut fehlt
In der Koalitionsvereinbarung steht viel über Verantwortung und solide Staatsfinanzen geschrieben, auch etwas über Steuervereinfachung. Aber spürbare Steuerentlastungen? Fehlanzeige. Und das, obwohl der Staat von einem Einnahmerekord zum nächsten eilt. Da geht doch wohl deutlich mehr. Längst ist die Union in der Steuerpolitik saft- und kraftlos geworden. Als offizielle CDU-Linie gilt nur noch die trotzige Ansage: niemals Steuererhöhungen. So gesehen wäre es schon ein Wert an sich, würde die Partei angesichts der von ihrem Wirtschaftsflügel veröffentlichten Reformideen überhaupt wieder ernsthaft über Steuererleichterungen diskutieren. Natürlich sind das Vorboten des Bundestagswahlkampfs. Bei SPD und Grünen wird ebenfalls schon über Steuerfragen debattiert. Wegen des jahrelangen Stillstands an der Steuerfront genügt es allerdings nicht mehr, an diesem oder jenem Schräubchen zu drehen. Eine umfassende Reform ist überfällig. Das zeigt sich vor allem am antiquierten Steuertarif. In den Anfängen der Bundesrepublik war der Spitzensteuersatz erst auf Einkommen fällig, die das 17-Fache des Durchschnittslohns betrugen. Heute braucht es nicht einmal mehr den doppelten Durchschnittslohn, um als Spitzenverdiener zu gelten. Darunter fallen bereits viele Facharbeiter. Das ist leistungsfeindlich. Dies gilt auch für die Tatsache, dass der Fiskus bei Arbeitseinkünften stärker zuschlägt als bei Kapitaleinkünften. Ein umfassendes Konzept kann demnach nicht nur aus Steuersenkungen bestehen. Es geht auch um Steuergerechtigkeit, die zurzeit an vielen Stellen schwerstens verletzt wird. Spätestens hier wird es jedoch brisant. Das mussten bei der letzten Bundestagswahl vor allem die Grünen schmerzlich erfahren. Ihre Forderungen nach einem höheren Spitzensteuersatz erwiesen sich damals als großer Sympathiekiller. Schon deshalb ist zu befürchten, dass am Ende allen Parteien der Mut zu einem großen Wurf fehlen wird. nachrichten.red@volksfreund.de

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