Tiefe Sorge um die Macht

München · Eine gute und eine schlechte Nachricht begleiten den CSU-Parteitag in München. Die gute: Die PKW-Maut kommt (wahrscheinlich), Verkehrsminister Alexander Dobrindt ist nicht blamiert und läuft gut gelaunt durch die Hallen. Die schlechte: Die CSU kommt in den Umfragen in Bayern nur noch auf 44 Prozent. Sie müsste ab 2018 mit der FDP oder sogar mit Grünen, Freien Wählern oder SPD koalieren, wenn es so bliebe. Jetzt herrscht Großalarm.

München. Horst Seehofer, 67-jähriger Parteichef, sieht in seiner Rede sogar eine "tektonische Verschiebung". Er erinnert an das Schicksal des österreichischen konservativen Kanzlers Wolfgang Schüssel, der 2006 trotz bester Wirtschaftsdaten abgewählt wurde. Eine Schicksalswahl für beide Ebenen, den Bund und Bayern, stehe bevor, sagt Seehofer. Es ist eine scharfe Warnung. Die CSU will der gesamten Union einen konservativen Kurswechsel verordnen. In der Flüchtlingsfrage vor allem, aber auch darüber hinaus. Man müsse, sagt der bayerische Ministerpräsident, "die Lebenswirklichkeit der Menschen wieder in den Mittelpunkt der Politik stellen", man müsse "Orientierung und Ordnung geben". Es klingt nach tiefer Unzufriedenheit. Mit der Bundesregierung, mit Angela Merkel.
Der nun seit einem Jahr währende Streit mit der CDU-Vorsitzenden und Kanzlerin geht an diesem Freitag nicht zu Ende und wird auch nicht gemildert. Merkel ist anders als sonst gar nicht erst für ein Grußwort zum Parteitag gekommen, und Seehofer nimmt wenig Rücksicht. Vehement plädiert er für eine Obergrenze bei den Flüchtlingen, die Merkel ebenso vehement ablehnt. "Ich werde in dieser Frage die Seele der CSU nicht verkaufen". Wie beide dann noch zusammenkommen sollen? Seehofer sagt, man suche eine Einigung. Aber wenn nicht, "dann sind wir uns an diesem Punkt eben nicht einig". Er höre wohl das Versprechen, dass sich die Ereignisse von 2015 nicht wiederholen sollten. "Aber wie geschieht das? Das ist der entscheidende Punkt." Einen Formelkompromiss jedenfalls werde er nicht mitmachen.Kritik an der Türkei


Seehofer will eine Obergrenze von jährlich 200 000 Flüchtlingen als Garantie, aber dabei bleibt es nicht. Er kritisiert auch den "Türkei-Deal", er habe ihn von Anfang an für falsch gehalten. Die Verhandlungen über einen EU-Beitritt müssten jetzt "mindestens unterbrochen werden". In der ersten Reihe sitzt Sebastian Kurz, Österreichs konservativer Außenminister, der in seinem Grußwort ganz ähnlich redet. Er bedankt sich bei Seehofer für die Unterstützung seiner Flüchtlingspolitik, und Seehofer dankt ihm für die Schließung der Balkanroute. "Das war die Wende." Angela Merkel hat genau das immer bestritten.
Zur freundlich vorgetragenen, inhaltlich aber harten Rede Seehofers passen die Anträge. Die CSU will im kommenden Jahr bei der Bundestagwahl den "Linksruck verhindern - damit Deutschland Deutschland bleibt". So der Titel eines vom Vorstand vorgelegten Leitantrags, der ohne Debatte einstimmig beschlossen wird. Generalsekretär Andreas Scheuer spricht sogar von "Linksfront". Der Bundestagswahlkampf ist damit eröffnet - auch gegen den Noch-Koalitionspartner, die SPD, von der es im Text heißt, sie sei "eine Partei ohne Kompass". Und ebenso gegen die Grünen, die viele in der Bundes-CDU sehr gern als neuen Partner hätten, allen voran Angela Merkel. Das sei "eine Anti-Familien-" und "Anti-Freiheitspartei", wird in München beschlossen. Aus CSU-Sicht, das ist damit klar, ist Schwarz-Grün absolut keine Option.
In dem Antrag werden schon Grundzüge eines Bundestagswahlprogramms vorweggenommen - das meiste ist mit der CDU kompatibel. Die innere Sicherheit steht im Mittelpunkt, Einbruchsdiebstahl soll künftig mit einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet werden, "ohne Bewährung". Wegen des Streits um die Flüchtlings-Obergrenze bleibt aber offen, ob es zu einem gemeinsamen Wahlprogramm kommen wird. "Das würde ich mir wünschen", sagt Volker Kauder, Unions-Fraktionschef, der ersatzweise für die CDU-Führung nach München gekommen ist. Klar auf AfD-Sympathisanten zielt ein zweiter Leitantrag zum "politischen Islam" in Deutschland, dem die CSU nun den "Kampf" erklärt und "unsere Leitkultur" entgegengesetzt. Das Burka-Verbot ist ebenso enthalten wie ein rigides Verbot von Ehen unter 18 Jahren. Elemente dieser Papiere sind auch im neuen Grundsatzprogramm enthalten, das am Sonnabend beschlossen werden soll. Die CSU spricht sich darin auch für Volksentscheide auf Bundesebene aus - eine Befragung der Mitglieder zu diesem zuvor umstrittenen Punkt hatte eine Mehrheit von 68,8 Prozent dafür ergeben. Die CDU lehnt das bisher ab, ein weiterer Streitpunkt. Überschrieben ist das Grundsatzprogramm mit einem einzigen Begriff: "Die Ordnung."Meinung

Stöckchen aus München
Die Christsozialen empfinden sich immer mehr als Gralshüter des Konservativen in Deutschland, das sie seit langem gefährdet sehen. Nicht so sehr durch die AfD. Sondern durch Angela Merkel. Das fing weit vor der Flüchtlingskrise schon mit der Familienpolitik an. Nun wollen sie die CDU-Vorsitzende auf Knien in ihre Richtung rutschen sehen, sie wollen ein Bekenntnis, dass 2015 falsch war, und eine Obergrenze gegen neue Flüchtlinge. Auf Knien aber wollte Merkel nicht nach München kommen, also fehlte sie ganz. Der Konflikt ist absolut nicht ausgestanden. Im Gegenteil: CSU-Chef Horst Seehofer hat sich am Freitag beim Parteitag in München für seine harte Position noch mehr Rückhalt geholt. Die Sprache in den dort verabschiedeten Leitanträgen zur deutschen Leitkultur und gegen einen "Linksruck" ist so kompromisslos, wie es seine Rede war. In vier Wochen ist in Essen die CDU am Zug. Wird sie über den Stock springen? Wenn nicht, geht die Union - übersetzt Einheit - sehr gespalten in den Wahlkampf. nachrichten.red@volksfreund.de

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