Totgesagte leben länger

Wie oft wurde in den letzten Monaten schon das Ende der großen Koalition von Unions- oder SPD-Seite angedroht? Totgesagte leben länger.

Und keiner der Partner hat wirklich ein Interesse daran, aktiv das ungeliebte Bündnis zusammenkrachen zu lassen. Das Klima wird noch einmal erheblich rauer werden in Berlin, wenn in Hessen die Kooperation der SPD mit der Linken vollendet werden sollte. Dann dürfte der Bundestagswahlkampf wirklich eröffnet werden und der Stillstand die Bundespolitik gänzlich erfassen. Die Koalitionäre trauen sich ja jetzt schon nicht mehr über den Weg, und gemeinsame Projekte für den Rest der Legislaturperiode sucht man weitgehend vergebens. Also doch lieber ein Ende mit Schrecken statt eines Schreckens ohne Ende? Kaum vorstellbar.

Auch wenn einige schwarze Ministerpräsidenten nicht uneigennützig heftig poltern, Union und SPD brauchen einander noch. So merkwürdig das auch klingt. Die politische Stimmung hat sich in Deutschland noch nicht so grundlegend geändert, als dass bei Neuwahlen nicht erneut eine große Koalition als einzige Bündnismöglichkeit übrig bleiben würde. Mag sein, dass der Sündenfall in Hessen bundesweit die schwarz-gelbe Option in den Umfragen beflügeln wird, aber die Demoskopie ist kein überzeugendes Argument für einen Koalitionsbruch. Sie gehen wegen unüberbrückbarer, inhaltlicher Differenzen auseinander, jedoch nicht wegen der Frage der parteipolitischen Glaubwürdigkeit des einen oder anderen Partners. Das abschließend zu bewerten, ist nun mal Aufgabe des Wählers.

Angela Merkel weiß: Wer das Bündnis jetzt aufkündigt, macht es sich einfach, der wird bei der Wahl für die Flucht aus der Verantwortung bestraft werden. Schnell wäre ihr Kanzlerinnen-Bonus dahin. Vor allem bei einem möglichen SPD-Gegenkandidaten Frank-Walter Steinmeier. Genüsslich wird Merkel also der weiteren Eigendemontage der SPD in den nächsten Monaten zusehen und das ganze Spektakel von ihren Wadenbeißern in Bund und Ländern befeuern lassen. Und die SPD? Es ist nicht erkennbar, wie sie aus dem Tal der Tränen wieder herausfinden will, in das sie die Hessen-SPD noch weiter hineingestoßen hat. Im Bund hat sie nach jetzigem Stand keine Alternative zur Großen Koalition, wenn man Parteichef Kurt Beck beim Wort nimmt. Aber kann man das noch?

nachrichten.red@volksfreund.de

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