Verrücktes Hickhack

Gibt es inzwischen eigentlich einen Posten innerhalb der Europäischen Union, für den Martin Schulz in den vergangenen Wochen noch nicht gehandelt worden ist? Ketzerisch könnte man sagen: Vermutlich für den des Hausmeisters in Brüssel. Er werde alles daransetzen, Kommissionspräsident zu werden, hat der SPD-Mann am Abend der Europawahl getönt.

Obwohl das Ergebnis seiner Partei trotz Zugewinn für so viel Selbstbewusstsein keinen Anlass bot. Später hieß es, okay, dann wolle er aber auf jeden Fall Vizepräsident der EU-Kommission werden. Als auch das ins Wanken kam, kündigte Schulz an, das Amt eines "wichtigen" EU-Kommissars reiche aus.
Nun jedoch soll der Genosse nach dem Willen von SPD-Chef Sigmar Gabriel das bleiben, was er gewesen ist: Präsident des Europaparlaments. Also ein Mann ohne größeren Einfluss. Ein verrückteres Hickhack um den künftigen EU-Job für eine Person hat man selten erlebt.
Der Eindruck drängt sich auf, dass die deutschen Sozialdemokraten den Mund mal wieder zu voll genommen haben. Das kann man ihnen zunächst einmal auch nicht verdenken, denn nach der derben Niederlage bei der Bundestagswahl verursachte das Plus bei der Europawahl unverhoffte Glücksgefühle. Aber leider eben auch einen gewissen Realitätsverlust mit Blick auf die Besetzung von Ämtern in Brüssel. Inzwischen ist das Postengeschacher um Schulz zur Farce geworden. Das gilt übrigens genauso für das Verhalten des konservativen Lagers bei der Personalie Jean-Claude Juncker und dem Eiertanz um einen dritten Kandidaten für den Kommissionspräsidenten. Hier hat sich auch Angela Merkel bislang nicht mit Ruhm bekleckert.
Den Parteien geht es eben längst nicht mehr darum, wer gut oder wer der Beste für Europa wäre und was die Wähler am 25. Mai mit ihrer Entscheidung eigentlich bewirken wollten. Sie glänzen durch Machtspielchen. Dadurch wirkt die EU ausgerechnet in einer Phase des europäischen Umbruchs wegen des Ukraine-Konflikts und der noch nicht ausgestandenen Wirtschaftskrise politisch gelähmt.
Fatal. Beim Theater um die Jobs für Schulz und Co blickt ohnehin kaum noch ein Bürger durch. Was zur Folge haben dürfte, dass die Lust auf Europa, die sich durch den Wahlkampf zweier Spitzenkandidaten etwas erhöht hatte, wieder sinkt.
Nun muss man den Akteuren wenigstens zugutehalten, dass das europäische Geschäft ein zähes ist. Auf dieser Ebene ist es um ein Vielfaches schwieriger, Inhalte durchzusetzen, für den einen oder anderen Kandidaten Mehrheiten zu organisieren. Da wird die Jobbesetzung schnell zum Kuhhandel. Deshalb dürfte es kein Zufall sein, dass die von der SPD geforderte Aufweichung des Stabilitätspakts mit den Verhandlungen über das europäische Spitzenpersonal zusammenfällt. Trotzdem: Der Eiertanz um die EU-Vorzeigeposten ist und bleibt peinlich.
nachrichten.red@volksfreund.de

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