Wahlkämpfer Erdogan demokratisch kontern

Warum ein Einreiseverbot nicht funktioniert.

Der erste Reflex ist: Verbot. Die Bundesregierung soll Recep Erdogan gar nicht erst einreisen lassen, wenn er hier für sein Verfassungsreferendum werben will. Nicht nur Grünen-Chef Cem Özdemir fordert das. Doch wer ein wenig länger nachdenkt, wird den Gedanken herunterschlucken.
Mit welcher Begründung sollte Erdogan die Einreise verwehrt werden? So wie Trump, weil er Muslim ist? Das passt gerade nicht gut in die Landschaft. Ganz abgesehen von dem totalen Bruch, den dieser Schritt für das Verhältnis mit der Türkei bedeuten würde. Ein Versammlungsverbot wäre juristisch kaum haltbar, denn viele, die da kommen würden, haben auch die deutsche Staatsangehörigkeit und damit das grundgesetzliche Recht, sich "ohne Anmeldung und Erlaubnis zu versammeln". Und was dort geredet wird, unterliegt sowieso der Meinungsfreiheit, solange nicht zur Gewalt aufgerufen wird.

Nein, es gibt nur eine Antwort, falls der türkische Präsident hier tatsächlich auftritt: Gegendemonstrationen. Daran dürfen dann ausnahmsweise gerne auch mal führende deutsche Politiker teilnehmen, um zu zeigen, wie sie jenseits diplomatischer Rücksichtnahmen wirklich denken. Über Erdogans geplante Präsidialdiktatur, über die Massenverhaftungen, die Verstöße gegen die Pressefreiheit, die Festnahme des Journalisten Yücel, den Krieg gegen die Kurden.

Die Debatte um den möglichen Erdogan-Auftritt wird auch deshalb so intensiv geführt, weil es ein verbreitetes Unbehagen darüber gibt, dass Zuwanderer ihre politischen Heimatkonflikte auf deutschem Boden austragen. Dass gibt es auch beim israelisch-palästinensischen oder dem russisch-ukrainischen Konflikt und vielen anderen Themen. Die Türken allerdings sind hier besonders aktiv und überschreiten dabei mitunter auch Grenzen. Etwa, wenn Özdemir wegen der Armenien-Resolution von Berliner Taxifahrern beschimpft wird und jetzt sogar Personenschutz benötigt. Oder wenn Imame hier lebende Türken ausspionieren. Gegen Rechtsbrüche dieser Art muss sehr entschlossen vorgegangen werden. Auch gegenüber den Diplomaten Ankaras, sofern sie hinter solchen Aktionen stehen.

Das eigentliche Problem ist jedoch die mangelnde Integration der beteiligten Migranten. Wenn jemand auch in der zweiten oder dritten Generation sich noch immer zuerst als Türke sieht, noch immer Erdogan als seinen Präsidenten anerkennt und nicht Joachim Gauck, dann ist etwas gründlich schiefgelaufen. Mehr Demokratiebildung in den Schulen, gerade in Problemvierteln, bewusste Aktivitäten der Parteien in Richtung Migranten, gezielte Aufklärung in den Medien, all das können Elemente sein, um etwas gegenzusteuern. Das bedeutet aber auch: Diese Migranten als Mitbürger akzeptieren und sie ernst nehmen. Nichts ist schlimmer für Erdogan als ein Deutschtürke, der die Demokratie begriffen hat. Bei den Syrern übrigens sollte man die politische Bildung gleich am Anfang sehr stark im Blick haben, schon in den Integrationskursen. Denn dass es dort nach einem Kriegsende hoch hergehen wird - und damit auch auf Deutschlands Straßen - ist schon jetzt absehbar.
nachrichten.red@volksfreund.de

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