Zehn Monate freie Bahn

Bremen ist politisch die Langeweile pur, die SPD regiert dort seit Kriegsende. Das erklärt wohl zum Teil die dramatisch niedrige Wahlbeteiligung.

Vielleicht ist es ein Tick Langeweile zu viel. Vielleicht waren sich SPD und Grüne allzu sicher. Am Sonntag wurden sie regelrecht abgewatscht.
Besonders für SPD-Chef Sigmar Gabriel, der mit seiner Partei bundespolitisch nicht vorankommt, ist das eine schlechte Nachricht. Auch wenn die SPD weiter in der Hansestadt den Regierungschef stellen kann: Für sie war es das schlechteste Ergebnis seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie muss nun nachdenken. 70 Jahre lang war sie die Bremen-Partei. Industriepolitik plus Soziales, fast immer stimmte die Balance. Und Spitzenmann Jens Böhrnsen verkörpert diese bescheidene Bodenständigkeit wie kein Zweiter. Apropos bescheiden: Eine Verschuldung von 21 Milliarden Euro - im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr als in Griechenland - war auch der Preis der bremischen Harmonie.
Rot-Grün hat also verloren, aber die CDU ist nicht die Gewinnerin. Wenn sie wirklich stolz darauf sein sollte, die Grünen als zweitstärkste Partei überflügelt zu haben, dann ist sie sehr bescheiden geworden. Der Lösung ihres bundesweiten Großstadtproblems ist sie keinen Millimeter näher gekommen. Die FDP kann nach Hamburg nun einen zweiten Erfolg im Norden feiern. Doch ob sie auch überregional aufersteht, entscheidet sich erst im nächsten Jahr, wenn Landtagswahlen in größeren Ländern wie in Rheinland-Pfalz folgen. Einzig bei der AfD besteht echter Grund zu Optimismus: Sie kann sich streiten wie sie will, es finden sich offenbar überall Protestwähler, die davon nichts mitbekommen haben oder es nicht sehen wollen. Bei den Linken ist es nicht unähnlich.
Die wichtigste Konsequenz ist eine andere: Dies war die letzte Landtagswahl bis zum März 2016 in Baden-Württemberg. Zehn Monate freie Bahn also für Merkel, Gabriel und Seehofer, um aus ihrer großen Koalition doch noch ein paar Beschlüsse herauszuquetschen, die das Land voranbringen. Vielleicht eine Steuerreform? Vielleicht die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen? Vielleicht mehr Investitionen in die Bildung, in die Vergütung von Lehrern und Erziehern? Vielleicht die Energiewende? Geld ist zufällig gerade genug da. Nichts wie ran. Die Zeit läuft.
nachrichten.red@volksfreund.de

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