Meinung Zeit für Süßes, Saures und Historisches

Kürbis oder Kirche? Gruseln oder Gedenken? Bitte nicht ganz so dogmatisch! Ein Blick auf Feiertage, Offenheit und Denkfehler.

 Thomas Roth

Thomas Roth

Foto: TV/Klaus Kimmling

Volle Straßen, volle Läden - volle Gotteshäuser. Es war die Woche der Feiertage - für Gläubige, aber auch für Konsumfreudige und Partygänger.
Die einen verkleideten und schminkten sich, ließen das Kunstblut herablaufen. Halloween ist nicht mehr nur ein Fest, das in den USA groß gefeiert wird. Wer die Kaufhäuser in den vergangenen Wochen betrat, sah: Die Verkleidungs- und Süßigkeitenindustrie freut sich mittlerweile ab Herbst durchgehend über große Nachfrage - fast identische Leckereien gibt es zu Halloween, Weihnachten, Fasching, Ostern, nur etwas unterschiedlich verpackt.
Dürfen Christen Halloween feiern? Ist es Sünde, sich den Kürbis-Spaß zu gönnen? Glücklicherweise lässt die oft tiefernst geführte Diskussion über diese Fragen mittlerweile an Schärfe nach und schafft Offenheit für andere Sichtweisen.
Auch wenn in diesem Jahr die christlichen Gedenktage stärker in den Vordergrund rückten. Es soll sogar möglich sein, den Reformationstag zu feiern oder der Toten an Allerheiligen und Allerseelen zu gedenken, ohne strikten Verzicht auf die zugegeben manchmal platte Grusel-Kitsch-Show zu üben.
Wobei eines doch wichtig ist: Die Einschnitte, an die etwa der Reformationstag erinnert, sind für die westliche Welt wahrhaft von historischer Dimension. Ob es Martin Luthers Thesenanschlag gab, ist sehr fraglich. Doch mit seiner Person, mit diesem Ereignis, aber auch mit der Scharfmacherei, die damals auf beiden Seiten herrschte, ist die Entstehung der evangelischen Kirche verbunden. Wie erfreulich ist es doch, dass das Reformationsjubiläum nicht als auf sich selbst bezogenes Fest der evangelischen Christen gefeiert wurde, sondern dass es viele Veranstaltungen mit der katholischen Kirche gab. Auch hier spielt die Offenheit für andere Meinungen eine große und erfreuliche Rolle.
Es war eine Woche des Innehaltens. Dieses Besinnen ist in der nächsten Woche auch ohne Brückentage angesagt. Es naht der 9. November, oft als Schicksalstag der Deutschen bezeichnet. Einerseits gibt es Grund zum Feiern. Vor 28 Jahren verkündete Günter Schabowski versehentlich die sofortige Reisefreiheit. Es war ein großes Glück, dass die Grenzschützer an diesem Tag besonnen reagierten. Es gab keine Gewalt, stattdessen fiel faktisch die Mauer, die unser Land teilte. Der 9. November ist aber auch der Tag des Erinnerns an die Pogromnacht, an Übergriffe, an Hunderte Juden, die getötet oder in den Suizid getrieben wurden, an den Auftakt noch schlimmerer Zeiten der Unmenschlichkeit mit Millionen Toten. Sich dieser Verantwortung zu stellen, ist unverzichtbar.
Natürlich gibt es keine persönliche Schuld der Deutschen, die nach dem Krieg aufgewachsen sind. Es gibt aber auch nicht die Möglichkeit, einerseits Deutschland und seine Kultur, seine Werte hochleben zu lassen - und andererseits bei den düsteren Seiten einen Schlussstrich zu ziehen.

t.roth@volksfreund.de

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