Zu früh für den Schlussstrich

Vorstoß des FDP-Chefs ist nicht zielführend.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: Mathias Krohn

Irgendwann wird man sagen müssen: Schwamm drüber. Aber jetzt schon, nur drei Jahre nach der Annexion der Krim? Ist Moral so kurzlebig? In der Ostukraine wird sogar täglich noch geschossen und gestorben, und der einzige wirklich Verantwortliche dafür heißt Putin.
FDP-Chef Christian Lindner ist zu schnell mit dem Schwamm drüber. So schnell, dass er aus Unrecht de facto Recht macht. Nur weil es angeblich übergeordnete Interessen gibt, natürlich wirtschaftliche. Hier übt einer schon vor der Wahl für den Job des Außenministers, obwohl sein Kompass dafür ganz offensichtlich zu schwach ist.
Es springt ihm nicht nur die (Ost-)Wirtschaft bei, sondern auch Sahra Wagenknecht. Deren Motive sind nicht lauter. Dieser Flügel der Linken sieht sich aus altkommunistischen Gründen immer noch als Sachwalter russischer Interessen. Und übersieht gnädig, dass in Moskau längst schlimmster oligarchischer Kapitalismus herrscht.
Jetzt schon nachgeben, das wäre ein falsches Signal.
Es würde dreierlei bedeuten: Die Gewalt setzt sich durch. Die Einheit des Westens gegen so etwas hält sowieso nicht lange. Und drittens: Geld geht vor Moral. Wenn das die Linie ist, kann sich Putin auch das Baltikum nehmen und Erdogan den Nordirak.
Wirtschaftliche Sanktionen und Reisebeschränkungen sind eine nichtmilitärische Antwort auf eine militärische Provokation. Auch hier wird die Widersprüchlichkeit der Linken deutlich, die sonst überall auf solche friedlichen Konfliktstrategien setzt. Nur nicht bei Putin. Wenn aber diese Reaktionsmöglichkeit aufgegeben wird, bedeutet das: Es gibt überhaupt keine Reaktionsmöglichkeit mehr jenseits der Waffen. Die Sanktionen wegen der Krim und der Ostukraine sind Versuche, eine Hausordnung in dem gemeinsamen Haus Europa ohne Gewalt durchzusetzen. Die amerikanischen Sanktionen wegen der "nicht eindeutig bewiesenen angeblichen russischen Wahlbeeinflussungen" stehen auf einem anderen Blatt. Sie wirken gewollt und überzogen.
Über die Sanktionen gegen Russland kann man dann neu nachdenken, wenn Putin dafür sorgt, dass das Minsker Abkommen über die Ostukraine umgesetzt wird. Er hat es selbst unterschrieben, ganz so unzumutbar ist das also nicht. Rückzug der schweren Waffen und der verdeckt operierenden russischen Soldaten. Ende der Unterstützung der Separatisten. Schließlich ein Autonomievertrag. Dann könnte der Westen sagen: Das belohnen wir und stoppen alle Sanktionen, die direkt mit russischen Firmen oder Politikern zu tun haben.
Und die Krim? Die Umstände dort waren und sind ohnehin etwas anders, schon wegen der mehrheitlich russischen Bevölkerung. Ihre Annexion bleibt dennoch ein Bruch des Völkerrechts und muss entsprechend behandelt werden. Jedenfalls gegenüber den dafür direkt Verantwortlichen in der Region. Bis ein, zwei Generationen später jemand sagen darf: Schwamm drüber, das ist neue geschichtliche Realität und akzeptiert. Aber erst dann.

nachrichten.red@volksfreund.de

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