Zu leise getreten

Kein deutsches Regierungsmitglied hätte 2011, mitten im arabischen Frühling, Ägyptens Mubarak, Libyens Ghaddafi oder Tunesiens Ben Ali die Hand gegeben. Warum dann jetzt Abdel al-Sisi, dem ägyptischen Putschistengeneral, der Todesurteile in Serie gegen die Muslimbrüder und seinen Vorgänger Mursi verhängen lässt? Nur Parlamentspräsident Norbert Lammert hat sich widersetzt, er ist da allerdings auch freier als die Regierung.

Kanzlerin Angela Merkel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Bundespräsident Joachim Gauck aber empfingen den unehrenhaften Gast mit allen Ehren in der deutschen Hauptstadt.
Der Besuch markiert die Anerkennung eines Irrtums. Wenn das Volk in Arabien aufsteht und Diktatoren hinwegfegt, muss danach noch lange keine Demokratie kommen. Es kann auch das Chaos sein oder neue, noch schlimmere Gewalt. Mursi, zwar mit Mehrheit gewählt, hat seine Position damals sofort ausgenutzt, um seine Muslimbrüder dauerhaft an die Macht zu putschen. Seine Herrschaft wäre nicht besser gewesen als die jetzige Al-Sisis. In Libyen herrschen Banden und Terroristen. Syrien geht im Krieg unter. Nur Tunesien scheint es zu schaffen.
Al-Sisis Visite in Berlin hat gezeigt: Auch den Deutschen geht das Interesse an der eigenen Sicherheit und an Stabilität in der Region inzwischen vor Prinzipien. Moralischer Rigorismus ist in der Außenpolitik sicher fehl am Platze, die Frage aber bleibt: Wie formuliert man auch solchen Leuten gegenüber deutlich den Anspruch auf die universellen Menschenrechte und die Werte der Demokratie?
So, wie die Vertreter der Bundesregierung es gestern in Berlin taten, war es jedenfalls zu leise.
nachrichten.red@volksfreund.de

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