Raus aus dem Raumschiff

Die Politik und ihre überraschenden Versprechungen im Wahlkampfendspurt.

Der Wahlkampf treibt schon seltsame Blüten. Auf den letzten Metern packen die Parteien noch einmal ihre Wundertüten aus. Da werden alte Positionen entweder gekippt oder neue verkündet. Und mancher Minister zaubert plötzlich noch ein Konzept für die Zeit nach der Wahl aus dem Hut.

So wie Familienministerin Katarina Barley. An diesem Mittwoch will sie verkünden, wie aus ihrer Sicht Trennungsväter künftig rechtlich deutlich bessergestellt werden sollen. Sicherlich ein wichtiges Thema, und gesetzliche Änderungen im Sinne vieler Betroffener scheinen notwendig. Vor allem aber handelt es sich bei Barleys Vorgehen um ein sehr durchschaubares Manöver, mit dem wohl speziell unentschlossene Wähler ausgerechnet vier Tage vor dem Urnengang noch einmal beeindruckt werden sollen.

Eine gehörige Portion Verzweiflung kommt hinzu, nicht nur wegen der aktuellen Umfragen. Barley trommelt auch in eigener Sache. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihr Amt nach der Wahl behalten wird, ist mit oder ohne Väter-Konzept gering. Insofern ist auch die spätere Umsetzung ihres Plans ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft.
Im Kern bleibt die Grundfrage, die sich freilich jeder Minister vorhalten lassen muss, der nun noch schnell das eine oder andere Kaninchen hervorholt: Warum nicht schon viel früher?

Das zeigt nur, wie groß die Nervosität der Wahlkämpfer inzwischen ist. Besonders dann, wenn Politiker in Erklärungsnot geraten, neigen sie zum überraschenden Positionswechsel. Beim Fernsehduell ist das so gewesen, als Kanzlerkandidat Martin Schulz kurzerhand mit der Ankündigung, die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei abbrechen zu wollen, die Haltung seiner Partei aus den letzten Jahren über den Haufen geworfen hat - und Kanzlerin Angela Merkel, flexibel wie immer, sich prompt dafür offen zeigte. So ist es auch gewesen, als beide in den Wahlarenen der Fernsehsender auf die Realität trafen. Kaum berichtet ein junger Pfleger mit Nachdruck über die in der Tat unhaltbaren Zustände in der Pflege, kommt die Kanzlerin mächtig ins Grübeln. Kaum trifft der Herausforderer Betroffene, verspricht er einen "kompletten Neustart". Steht zwar nicht im Wahlprogramm, aber was soll's.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Dass das Denken und Handeln von Politikern manchmal ins Wanken gerät durch den Kontakt mit dem Bürger, ist nicht zu kritisieren. Und dass man schnell reagieren muss, wenn man mit Sorgen und Nöten konfrontiert wird, auch nicht. Aber leider passiert das allzu oft erst im Wahlkampf. Die Probleme der Pfleger sind seit Jahren bekannt, die Ängste vor kaum mehr bezahlbaren Mieten ebenfalls. Wie vieles andere auch.
Die Politik täte daher gut daran, nicht erst in Wahlkampfzeiten aus dem Berliner Raumschiff auszusteigen, sondern viel häufiger sich den Bürgern direkt zu stellen. Zum Beispiel in Dialogforen. Dann wäre die Verdrossenheit vielleicht kleiner und die Kenntnis um die Probleme der Menschen größer. Und Konzepte auf den letzten Metern wären dann auch schlicht überflüssig.

nachrichten.red@volksfreund.de

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