Auch Fragen ist ein Menschenrecht: Warum Flickschusterei in der Flüchtlingspolitik brandgefährlich ist

Trier · Drei Themen beherrschen derzeit die politische Diskussion: der Krieg in der Ostukraine, das Griechenland-Chaos in der EU und die Flüchtlingspolitik in Deutschland. Zum dritten Thema bleiben zunächst zwei Dinge festzuhalten. Ein Kommentar.

Noch nie gab es so viel Unterstützung und Verständnis für die Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder Teilen Afrikas. Mörderische Kriege und Systeme treiben die Menschen aus ihrer Heimat weg. Und die allermeisten bei uns glauben auch, dass es unvereinbar mit unseren demokratischen Grundsätzen ist, Hunderte, wenn nicht Tausende von Frauen, Männern und Kindern im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Das ist zwischen allen demokratischen Parteien, in fast allen Gesprächen und auch an den vielzitierten Stammtischen weitgehend unstrittig.

Doch dieses Thema birgt ungeheuren Sprengstoff für unsere Gesellschaft, für das Zusammenleben, für das Gefühl, ob es gerecht zugeht in diesem Land. Und dieses Thema wirft viele praktische Fragen auf, die die Politik schnellstens beantworten muss, will sie die grundsätzliche Hilfsbereitschaft und Zustimmung großer Bevölkerungsteile nicht verlieren. Das hat viel mit Glaubwürdigkeit zu tun, mit ganz praktischer Arbeit vor Ort.

In Rheinland-Pfalz etwa werden im Winter keine Flüchtlinge abgeschoben. Das ist rein menschlich gesehen sehr zu begrüßen, nutzt aber nichts, wenn es nicht gleichzeitig genügend menschenwürdige Unterkünfte gibt, in den Aufnahmeeinrichtungen Zelte aufgebaut werden müssen und die Zustände unerträglich werden.

Das ist konzeptlos und trägt keineswegs zur Lösung von Flüchtlingsproblemen bei. Im Gegenteil, es bestärkt den Verdacht, dass da viel Aktionismus und wenig Plan bei der Landesregierung im Spiel sein könnte.

Oder wie kann es sein, dass ein Hotel aus Brandschutzgründen als Flüchtlingsunterkunft nicht taugt, gleichzeitig aber dort deutsche Gäste Urlaub machen? Was stimmt da nicht - unsere vollkommen irren, überzogenen Brandschutzbestimmungen oder übertreiben wir es wieder einmal in typisch deutscher Manier?

Wie will es die Politik den Bürgern erklären, dass die EU seit Jahren Hunderte von Millionen in das Kosovo gepumpt hat und weiter pumpt, dass dort mit dem Euro bezahlt wird, wir in dem Land angeblich seit Jahren rechtsstaatliche Strukturen aufbauen, die Kosovaren als mögliche Beitrittskandidaten zur Europäischen Union gelten und gleichzeitig die Leute täglich zu Tausenden aus diesem Armenhaus vor Not, Elend und Hoffnungslosigkeit davonlaufen?

Warum bewegt sich trotz gigantischen Geldflusses in diesem kleinen Land nichts in die richtige Richtung? In welchen dunklen Kanälen sind die Hilfen versickert? Die Normalbürger dort sind nach wie vor bettelarm. Also kommen zu all den Kriegsflüchtlingen jetzt auch noch die Menschen in Scharen aus dem Kosovo. Und niemand kann das scheinbar ändern.

Was die Bürger in all diesem Durcheinander zu Recht von der Politik erwarten, ist ein Konzept - für das Kosovo, für Teile Afrikas, für Syrien, Libyen, den Irak und all die anderen Krisenherde dieser Welt. Denn eines muss jedem normal denkenden Menschen auch klar sein: Wir werden nicht alle aufnehmen können, die da mühselig und beladen sind.

Nötig wären drei Säulen in der praktischen Politik, um die Dinge wenigstens einigermaßen in geordnete Bahnen zu lenken: Förderung der Entwicklung und Stabilität vor Ort, damit möglichst viele in ihrer Heimat bleiben. Dazu gehört nicht nur Entwicklungshilfe, sondern auch, den amerikanischen Freunden zu erklären, dass es nichts mit Demokratie zu tun hat, ohne jeden Grund etwa den Irak zu überfallen, irgendwann abzuziehen und ein kaputtes, chaotisches, unregierbares Land zurückzulassen, ohne jede Perspektive. Die Barbaren vom Islamischen Staat lassen grüßen.

Zweite Säule muss eine menschliche, pragmatische Aufnahmepolitik hierzulande sein, mit schnellen Asylverfahren, mit viel weniger Bürokratie und einer radikalen Absenkung der völlig überzogenen Standards. Dazu gehört auch, dass alles getan wird, personell wie finanziell, um die Menschen, die hier bleiben, so schnell wie möglich zu integrieren. Und genau da tut sich in unserer Region eine ganze Menge.

Und die dritte Säule ist ein vernünftiges Einwanderungsgesetz, so wie es viele Staaten dieser Welt haben, mit klaren Regeln und Chancen für beide Seiten. Solange es das nicht gibt, werden Wirtschaftsflüchtlinge versuchen, über das Asylverfahren im gelobten Land zu bleiben. Was sollen sie sonst tun?

Um all das muss sich Politik kümmern, und über all das muss sie mit den Menschen reden. Denn es geht um sehr viel mehr als um eine abstrakte Zahl von Flüchtlingen, die zu uns kommen. Es geht um den sozialen Frieden in unserem Land. Der war in all den Jahrzehnten Grundlage für unser Zusammenleben - und damit auch ein Garant für Freiheit und Wohlstand. Es steht also viel auf dem Spiel.
d.schwickerath@volksfreund.de
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