Mitten ins Herz Frankreichs

Mit ihrer Satire ist die Zeitung "Charlie Hebdo" bis an die Grenzen gegangen. Sie karikierte Muslime, aber auch Christen oder Juden. Damit hat das französische Blatt sicher im Kampf für die Meinungsfreiheit religiöse Gefühle verletzt, getötet hat es aber nie jemanden. Das ist am Mittwoch passiert, als vermutlich islamistische Attentäter kaltblütig fast die ganze Redaktion von "Charlie Hebdo" auslöschten.

Zwölf Menschen starben bei dem Anschlag in Paris, darunter der Chefredakteur. Es war ein brutaler Angriff auf die Pressefreiheit, wie er sonst vielleicht in Somalia oder Pakistan passiert. Aber eben nicht in Frankreich, wo Freiheit neben Gleichheit und Brüderlichkeit zu den Grundwerten der Republik gehört.

Die Republik ist deshalb bis ins Mark erschüttert. Selbst die Chefin des rechtsextremen Front National (FN), Marine Le Pen, die sonst keinen Anlass auslässt, gegen Muslime zu hetzen, äußert sich zurückhaltend. Noch. Denn dass der FN spätestens morgen den Angriff ausschlachten wird, ist sicher. Offene Worte gegen den radikalen Islam fordert Le Pen nun endlich.

Doch am Mittwoch schließen sich zumindest Sozialisten und Konservative in Trauer zusammen. In der schweren Stunde, in der Frankreich den schlimmsten Terrorangriff seit Jahrzehnten erlebt, sprechen sowohl Präsident François Hollande als auch Oppositionsführer Nicolas Sarkozy davon, zusammenzustehen, einen Block zu bilden gegen die islamistische Gewalt.

Den Attentätern geht es nicht nur um die Pressefreiheit. Sie greifen auch Frankreich selbst an, und zwar mitten ins Herz. In dem Land lebt nicht nur die größte muslimische, sondern auch die größte jüdische Gemeinde Europas. Unter beiden Religionsgemeinschaften dürfte nun die Angst wachsen. Denn die Zahl islamfeindlicher Angriffe hat innerhalb eines Jahres um 30 Prozent zugenommen und die Zahl antisemitischer Übergriffe um 50 Prozent. Von einer "Stigmatisierung" der Muslime war bereits nach früheren Anschlägen die Rede. Da ist es gut, dass nun die nationale Einheit beschworen wird und die Republik, in der es eigentlich nur Franzosen gibt - egal, ob Muslime, Christen oder Juden.

Vielleicht wecken die dramatischen Ereignisse ja jene schweigende Mehrheit auf, die immer noch an die Werte der Republik glaubt. Vielleicht gehen die Franzosen ja zu hunderttausenden auf die Straße, um für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu demonstrieren, um die es manchmal schlecht bestellt ist. Zehntausende versammelten sich am Mittwochabend in zahlreichen Städten unter dem Motto "Ich bin Charlie". Ein Anfang ist gemacht.

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