Das Drama der Gegenwart

Zum Kommentar "Der Karren steht" (TV vom 2. Oktober):

Die Deutschen und ihr Bundespräsident - eine fast unendliche Geschichte, in jeder Amtsperiode durch neue Facetten bereichert, die dann doch wieder die alten sind. Um was geht's? Der Bundespräsident hat seine traditionelle Berliner Rede gehalten, hat die Chancen der Globalisierung insbesondere für die Deutschen unterstrichen, hat aus eben diesem Grunde auch vor einem Ende der Reformen gewarnt und im gleichen Zusammenhang die Bedeutung der Bildung hervorgehoben. Was war falsch? Nichts! Und dennoch reibt sich die veröffentlichte Meinung erneut an den Worten des Präsidenten, diesmal mit der Begründung: Er bewegt ja nichts, und keiner hört auf ihn. Dabei merken die unendlich politikkundigen Kommentatoren überhaupt nicht, dass sie damit das Drama der deutschen Gegenwart beschreiben. Denn wir alle sehen doch, wie bildungsmäßig andere Völker an uns vorbeistürmen. In der deutschen Gesellschaft jedoch rührt sich nichts. Die Deutschen, ihre Medien und gut besoldete Lobbyisten erschöpfen sich im ständigen Lamento über die Ärmsten der Armen, kritisieren die zu frühe Schüleraufteilung als Grund allen Übels und maulen darüber, dass Abkömmlinge reicher Familien im Regelfall höher aufsteigen als die Kinder der kleinen Leute. Warum eigentlich kommen bei diesem mitteleuropäischen Volk, das in der zivilisierten Welt früher als das Land der Dichter und Denker gepriesen ward, die Ermahnungen und Warnungen und Ermutigungen unseres Präsidenten nicht an? Braucht das deutsche Volk erst wieder die Katastrophe eines staatlichen Zusammenbruchs, ehe es bereit ist, sich auf seine Stärken und vor allem seine Chancen zu besinnen?Horst Köhler ist im wahrsten Sinne des Wortes einer von uns, keiner von denen, die mit dem silbernen Löffel im Mund geboren wurden. Wenn er uns mahnt, gilt es zuzuhören und die Mahnungen zu bedenken. Unser Grundgesetz hat den Präsidenten aus gutem Grund nicht mit politischer Macht ausgestattet, erfordert gleichwohl (schon wegen Artikel 81, Gesetzgebungsnotstand) einen klugen, weitsichtigen, sehr lebenserfahrenen Mann, der mit eben diesen Attributen zu wirken weiß. Wir hatten in der Vergangenheit Bundespräsidenten, die sich zurückhielten, würdig Hände schüttelten und massenhaft Orden verteilten. Die Namen haben alle schnell vergessen. Waren diese den Medien recht? Nein, im Gegenteil, diese wurde als Grüß-Auguste verlacht.Wolf-Rüdiger Wulf, Trier bundespräsident

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