Fakten, Fakten, Fakten - und konsequente rechtsstaatliche Bildung

Politik

Zum Kommentar "Fast wie immer" und zur Berichterstattung über den Fall Amri (TV vom 19. Mai):
Hagen Strauß kritisiert zu Recht das staatliche Versagen, den Berliner Attentäter Amri nicht vor seinem Verbrechen wegen anderer Straftaten dingfest gemacht zu haben sowie die unglaublichen nachträglichen Verschleierungsversuche dieses Versagens durch den Berliner Staatsschutz.
Noch kritikwürdiger ist, dass die GroKo im Wahljahr grundrechtlich mehr als fragwürdige Gesetzesverschärfungen im Asylrecht auf die Wege bringt, die mehr Sicherheit vorgaukeln, aber in Wahrheit nur Populismus sind: Nicht die Fußfessel hätte Amris Attentat verhindert, sondern seine rechtzeitige Festnahme. Bei dem systematischen Auslesen der Handys von Asylbewerbern stellt sich die Frage, was geschieht, wenn diese Daten in die Hände in die Verfolgerstaaten gelangen, in die die Flüchtlinge unter Umständen später abgeschoben werden? Wenn "Gefährder" ohne konkreten Tatverdacht bis zu 18 Monaten in Haft genommen werden können, wird ein Einfallstor für rechtsstaatlich untragbare Willkür aufgestoßen.
Die Botschaft, dass, wer Terrorismus vorbeugen will, Flüchtlinge unter Generalverdacht stellen, sie als potenzielle Terroristen darstellen muss, übernimmt unverblümt die Rhetorik der Rechtspopulisten und stärkt sie somit. Extremistische Gewalt kündigt sich nicht immer klar an, kann also nicht immer verhindert werden. Ein überstarker politischer Fokus auf der Bekämpfung islamistischer und von Flüchtlingen drohender Gewalt, wie er sich im aktuellen Asylpaket wieder manifestiert, ist gefährlich. Der Staat überreagiert an einer Stelle, übersieht aber anderes: Der deutsche Amokläufer von München war offenbar nicht nur psychisch instabil, sondern auch rechtsextrem. Sein Mord an neun Menschen, überwiegend Migranten, hat nicht annähernd so heftige Debatten ausgelöst wie andere Terrorakte, die islamistischem Terror zugerechnet werden. Sieht man dann noch die rechte Hetze in den sozialen Medien, Anschläge auf Moscheen und Flüchtlingsunterkünfte, den beängstigend wachsenden Organisationsgrad der rechten Szene überhaupt - nicht zuletzt auch in der Bundeswehr -, dann sollte klar sein: Die "Gefährder"-Debatte muss deutlich weiter greifen, als sie es bisher tut. Rechtspopulisten und -extremisten schüren Ängste, auf denen sie ihr Süppchen kochen. Das Risiko, bei einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen, ist eine vieltausendfach höhere Gefahr als Opfer eines islamistischen Anschlags zu werden, löst aber kaum Ängste aus. In Deutschland sterben laut Studien jährlich Zehntausende Menschen vorzeitig durch Stickstoffdioxid und Feinstaub. Der Verkehrsminister kam aber noch nicht auf die Idee, den von Dieselmotoren betriebenen Fahrzeugen Fußfesseln anzulegen.
Will man Rechtspopulismus bekämpfen, hilft nicht, ihn als soziale Pathologie und Therapiefall zu verstehen und für seine realitätsverzerrenden Ideen Verständnis aufzubringen, noch ihn als Tabu zu erklären. Vielmehr muss man ihm mit Fakten und konsequent rechtsstaatlicher politischer Bildung auf allen Ebenen entgegentreten.
Norbert Bogerts
Welschbillig

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