GESUNDHEIT

Zu den Artikeln "Gefährliche Keime aus der Tiermast breiten sich aus" und "Verbot von Antibiotika wäre Tierquälerei" (TV v. 21. u. 22./23. Nov.):

In den Beiträgen wurde die bedeutsame, aber wenig beachtete Thematik der zunehmenden Antibiotikaresistenzen in ihren unterschiedlichen Facetten präsentiert. Zu dieser Resistenzzunahme trägt, wie richtig berichtet, die starke Ausbreitung von Antibiotika in der Umwelt bei. Pharmazeutika werden nach ihrer Anwendung von behandelten Menschen wie auch von Tieren weitgehend unverändert wieder ausgeschieden. Bei Verwendung von Gülle und Klärschlamm als Dünger gelangen die Antibiotika unmittelbar auf landwirtschaftliche Nutzflächen. Bereits bei der Lagerung der Exkremente kommt es zur Zunahme und Verbreitung von Resistenzen, die sich im Boden fortsetzen. Dies geschieht einerseits durch die unmittelbare Wirkung der Antibiotika, andererseits durch horizontalen Gentransfer zwischen Bakterien unterschiedlicher Arten, sodass Darmkeime ihre Resistenzen auf Bodenbakterien übertragen. Auch der Austausch von Antibiotika-Resistenzgenen zwischen Bodenbakterien und hu manpathogenen Bakterien wurde belegt, womit der Weg für eine Infektion des Menschen geebnet ist. Vor diesem Hintergrund ist der Hinweis von Herrn Dr. Götz als Präsident des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte, dass die Krankheitskeime bei Nutztieren andere sind als beim Menschen, nur bedingt stichhaltig. Nicht die Übertragung der Keime, sondern die Übertragung der Resistenzen ist relevant. Angesichts des Ausmaßes der Resistenzzunahme ist ein Umdenken, das nur allmählich vonstatten geht, dringend geboten. Schuldzuweisungen und Wagenburgmentalität sind hingegen fehl am Platz. So ist es wenig hilfreich, wenn einzelne Nutztierhalter darauf verweisen, dass "vorsorglich, also ohne entsprechende Erkrankung [...], Arzneimittel nicht gegeben werden". Die Realität: Ställe mit Tierzahlen, die in die Tausende und Zehntausende gehen, und in denen alle Tiere behandelt werden (müssen), sobald eines erkrankt ist oder zu erkranken droht. Die Folge sind routinemäßige Behandlungen großer Tierzahlen, die zu dem starken Verbrauch von Antibiotika vor allem in der Nutztiermast geführt haben. Hier irrt Herr Steinberg gewaltig, wenn er ausführt, dass die Pferde- und Heimtierhaltung und nicht die Nutztierhaltung Hauptabnehmer von Antibiotika seien. Die Forderung eines Verbotes des Einsatzes von Antibiotika in der Tierhaltung ist untauglich und widerspricht dem Tierschutz. Aber Maßnahmen, die unreflektierte Anwendung von Antibiotika auf das sinnvolle Maß einzudämmen, wie sie bereits in den Krankenhäusern eingeleitet wurden, sind auch in der Tierhaltung und insbesondere in der Tiermast dringend geboten. Dazu gehören bessere Haltungssysteme und Hygiene. Prof. Dr. agr. Sören Thiele-Bruhn, Trier Wir begrüßen es ganz außerordentlich, dass sich der TV dieses brisanten Themas annimmt. Dieser Artikel (wie auch die umfassende Dokumentation in der Wochenzeitung "Die Zeit") sollte Pflichtlektüre sein für jeden Bürger! Es muss uns Konsumenten ganz deutlich gemacht werden, dass Billigfleisch zum teuersten Fleisch wird - wenn wir die Folgekosten beachten. Mit diesem Wissen müssten wir jedes Sensationsangebot boykottieren! Das wäre die wirksamste und sehr schnell wirkende Maßnahme gegen die Zeitbombe, die in und aus unseren Ställen tickt! Natürlich kann nicht sofort jede Verabreichung von Antibiotika im Stall sofort verboten werden, das würde die Tierquälereien erhöhen. Aber diese Arzneien müssen doch nur eingesetzt werden, weil die Tiere unter unsäglich schlechten Bedingungen auf viel zu engem Raum leben! Mit einem hoffentlich bald eingeführten Antibiotikaverbot einhergehen müssen bindende Vorschriften zur Tierhaltung, einer artgerechten Tierhaltung, und nur die darf gefördert und erlaubt werden! Dies ist das Gebot der Stunde, wenn wir einer Katastrophe entgehen wollen! Heide und Dr. Reinhart Förster, Daleiden Das Szenario betrifft uns alle: die weltweite Verbreitung gefährlicher Bakterien, gegen die Antibiotika nicht mehr wirken, veranschaulicht von TV-Redakteur Bernd Wientjes in der eindrucksvollen Berichterstattung. Die recherchierten Daten über Krankenhauskeime, Tiermastkeime, deren Verbreitungswege und die Herkunft von Multiresistenzen gegenüber Antibiotika sollten nachdenklich stimmen. Mit der weltweit ansteigenden Antibiotika-Resistenz rollt eine Katastrophe auf uns zu, deren Ausmaß wir unterschätzen. Irgendwie sind alle schuld: Patienten, Ärzte, Kliniken, die Industrie und die Landwirtschaft. Wenn der Verbrauch von Antibiotika in deutschen Tierställen bei etwa jährlich 1700 Tonnen liegt, in der Humanmedizin bei 700 bis 800 Tonnen, wird das Ausmaß deutlich. Ohne den Einsatz von Antibiotika würden viele Tiere die kurze Mast in den oft übervollen Ställen nicht überleben. Bei langfristiger Antibiotikagabe, besonders in unterschwelliger Dosierung, entwickeln einige Bakterien eine Überlebensstrategie in Genen für Antibiotikaresistenz, indem sie das betreffende Antibiotikum durch Eiweißstoffe (Enzyme) bis zur Unwirksamkeit abbauen. Dass resistente Staphylokokken (MRSA) von Hühnern auf den Menschen übertragbar sind, haben Forscher des Robert-Koch-Instituts nachweisen können. Jeder vierte Mensch soll bereits die resistenten Keime in sich tragen, wenn er beruflich mit Schweinen und Hühnern Kontakt hat. Viel gefährlicher sind neue, aus Indien stammende, hochgradig resistente Erreger (NDM-1), gegen die es nur noch zwei Antibiotika gibt. Damit die antibiotischen Wirkstoffe billig sind, bestellen die Pharmahersteller 90 Prozent ihres Bedarfs in Indien und teilweise China, wo sich durch lasche Umweltvorschriften vermehrt übertragbare Resistenzgene verbreiten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weist in ihrem alarmierenden Bericht vom Sommer 2014 ausdrücklich auf die Bedrohung der medizinischen Errungenschaften hin. Wenn in Zukunft keine oder nur noch wenig effektive Antibiotika gegen Lungenentzündungen, Blaseninfektionen oder zur postoperativen Wundbehandlung zur Verfügung stehen, sterben Patienten zunehmend an Infektionen, die früher problemlos zu behandeln waren. Schuld daran ist der sorglose Umgang mit sogenannten Breitbandantibiotika auf allen Ebenen. Die Pipeline für innovative, antibiotische Wirkstoffe ist leer, und das wird sich in den nächsten zehn Jahren nicht wesentlich ändern. Schuld daran ist nicht nur die Pharmaindustrie, die eher hochpreisige Medikamente für chronische Erkrankungen wie Rheuma, Aids oder Krebs entwickelt, sondern billiges Antibiotikum, mit dem meist nur kurzfristig behandelt wird. Ungefähr 100 000 Euro müssen investiert werden, um ein neues Antibiotikum zu finden und zum Medikament zu entwickeln. Vor allem aber wird klar, dass eine Zeitbombe tickt. Dr. Ursula Schöffling, Trier

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