Geistiger Verrat

Jeder halbwegs Gebildete weiß schon aus der Literatur um den brisanten Gegensatz von Geist und Macht. Geistiger Verrat beginnt da, wo ich das Machtkriterium oder den persönlichen Vorteil über meine eigenen Ideale und Prinzipien stelle.

Unschwer ist zu erkennen, wo die Kirchen ihre Schwerpunkte setzten. Man beachte, dass die Amtsträger der Kirchen sich nicht umsonst Geistliche oder Würdenträger nennen. Geist und Würde hatte also oberste Priorität. Was soll man von einem polnischen Kardinal halten, der das Verhalten von Wielgus entschuldigt mit dem Verrat des Apostels Petrus? Hat dieser Mann vergessen, dass einfache Priester, nur weil sie Haltung bewahrten, durch den polnischen Geheimdienst ermordet wurden? Ich selbst habe erfahren, wie ein evangelischer Pfarrer nicht etwa zerbrach am Widerstand gegen die Kommunisten, sondern am geistigen Verrat seiner engsten Vertrauten. In Anbetracht solcher Umstände ist es ein Hohn, wenn Wielgus, wie übrigens alle Konspiranten, behaupten, nie jemand geschadet zu haben. Es gibt den Überzeugungstäter; dessen Moral und Prinzipien orientieren sich an einer Ideologie. Er ist kein Opportunist im klassischen Sinne, sondern vielmehr ein (fanatischer) Anhänger seiner Ideologie. Egal welche Ideologie, selbst jede Verirrung als solche ist hier zumindest noch nachvollziehbar, wenn auch nicht immer zu verstehen. Aber wie kann man einen Opportunisten verstehen ohne jede moralische, oder hier treffender, ohne religiöse Verantwortung? Wie kann man begreifen, dass ein Würdenträger Nächstenliebe von der Kanzel predigt und zugleich seinen Nächsten verrät? Unvorstellbar, wenn man in diese Überlegungen noch die Beichte mit einbezieht. Haben es die Verantwortlichen je begriffen, dass der Untergang des christlichen Abendlandes hier seine tödlichen Wurzeln hat. Dávila, ein erzkonservativer Katholik eigener Prägung, bringt es auf den Punkt: "Der Antichrist ist, wahrscheinlich, der Mensch. " Wolfram Bauer, Nittel

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