Geschichte

Zum Leserbrief "Geistige Gefangenschaft" (TV vom 6. Mai):

In seinem Leserbrief hebt der Verfasser Frank Weiland die Vergebungsbereitschaft der KZ-Überlebenden Eva Kor hervor. Leider sieht er aber die - in seinen Augen - Unfähigkeit von anderen Holocaustüberlebenden, den Tätern zu vergeben, in der jüdischen Religion begründet. Dieser Gedanke wäre freilich nur dann folgerichtig, wenn alle Opfer, die nicht vergeben wollen, religiös und die dazu bereiten nichtreligiös wären - eine Annahme, die er nicht belegt beziehungsweise die nicht belegbar ist. Wäre diese logische Argumentationsschwäche noch verzeihlich, trifft dies für die ethische Zumutung nicht mehr zu, dass er nämlich Opfer für etwas beschuldigt, ohne die Schuld der hunderttausendfachen Täter zu benennen. Weitaus schlimmer, nämlich vor(!)mittelalterlich antijudaistisch, ist das Bild der jüdischen Religion, welches hier gezeichnet wird. Dies hat nichts mit dem Judentum, aber sehr viel mit antijudaistischen Polemiken zu tun, welche in der Geschichte allzu häufig verbalen und körperlichen Übergriffen gegenüber Juden den Weg bereiteten. Inzwischen sind sie freilich glücklicherweise durch Erklärungen des Papstes, des Zweiten Vatikanischen Konzils sowie mehrerer deutscher Bischofs- und evangelischer Ratsversammlungen verurteilt worden. Dazu gehört etwa die Unterstellung, das Judentum sei aufgrund seiner "Ausrichtung auf irdische Erfüllung eine Religion mit nur geringer Spiritualität". Dies galt - wenn überhaupt - nur für Teile des Judentums bis etwa 200 vor Christus. Spätestens von da an setzte sowohl im jüdischen Mainstream als auch bei marginalen Gruppen eine Spiritualisierung ein, die nicht nur für das Handeln des Jesus von Nazareth, sondern auch für spätere christliche Mystiker bestimmend war. Auch der Vorwurf, die Juden sähen sich als "einzige von Gott auserwählt", entstammt eher antijüdischen Polemiken denn modernem jüdischen Selbstverständnis. René Richtscheid, Geschäftsführer Emil-Frank-Institut, Vorsitzender Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Wittlich

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