Gesellschaft

Zur Berichterstattung über die Anschläge in Paris, zur Bedrohung durch Terror, zur Pegida-Bewegung und zu den Leserbriefen "Urteile und Vorurteile [… ]" (TV vom 17./18. Januar):

Der brutale Anschlag in Paris gegen die Meinungsfreiheit unserer westeuropäischen Gesellschaftsordnung lässt nun eine weitere Übersetzung der Pegida-Initiative zu. Nicht einmal ein Buchstabe ist auszutauschen. Der Buchstabe "P" bleibt stehen. Es wird nachvollziehbar, dass es nun in Paris wohl Demos geben wird, die mit "Pariser Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes interpretiert" werden können. Ich würde, bezogen auf diesen Terrorakt, mitgehen. Eine Vernetzung dieser Demos innerhalb der westeuropäischen Staaten ist wohl ebenfalls nur noch eine Frage von Wochen, allenfalls Monaten. Die Anzahl der friedliebenden Muslime in Europa wird ohne Zweifel größer sein als die der Fundamentalisten; dass es langsam, aber sicher dazu kommen wird, alle Muslime unter Generalverdacht zu stellen, verwundert doch wohl nicht. Die Politiker sollten nicht nur an die Bevölkerung appellieren, Flüchtlinge freundlich aufzunehmen, sie sollten auch an die Flüchtlinge appellieren, unsere Gesellschaftsordnung zu achten. Wir haben uns in unserer Gesellschaft das Recht eingeräumt, gegenseitig die Meinung des anderen zu ertragen. Nicht immer zu teilen, aber zu akzeptieren. Nicht Gott oder Allah ist der Meinungszensor. Es gibt keinen Meinungszensor. Ein Gott oder ein Allah benötigt keine Menschen, um Meinungen zu bewerten. Das ist Hochmut von Religiösen, die sich einem Gott oder Allah überlegen fühlen. Jedenfalls: Die Meinungsfreiheit ist das Blut in den Adern einer Demokratie. Die Menschen wollen nicht ausbluten. Sie haben Angst. Freundlichkeit einerseits - gerne, Terror gegen uns andererseits - nein! So werden aus Angst-Bürgern eben Wut-Bürger. Unser Standpunkt muss sein: Keine Front gegen Fremde, aber konsequente Stellungnahmen gegen Gewalt. Pegida muss nicht sein, aber unsere Gesellschaftsordnung muss geschützt werden. Hans-Georg Becker, Schweich Jeder Mensch hat Verstand und freien Willen. Den soll man nutzen und gebrauchen. Wir müssen den anderen so akzeptieren, wie er ist. Jeder Mensch, egal wo er herkommt, ist geprägt durch Familie, Umfeld und Religion. Man hofft, ein besseres Leben zu erreichen mit seinen Vorstellungen, mit seinem Glauben. Wir Christen müssten einmal zurückdenken: Was ist alles im Namen unseres Glaubens geschehen? Wir sind so respektlos dem anderen gegenüber geworden. Wie steht es mit der Menschenwürde? Wie werden die Worte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit umgesetzt? Man kann nicht auf dem rumtrampeln, was dem anderen heilig ist. Es gibt Dinge, die tut man nicht. Das verletzt, das tut weh. Aggressionen bleiben auf Dauer nicht aus. Wir Mitteleuropäer glauben, wir könnten allen anderen unseren Hut überstülpen. Integration, ein viel benutztes Wort, da fängt es an. Wie geht es den Menschen ohne Arbeit, ohne Anerkennung, ohne Perspektive? Den jungen Menschen in Frankreich geht es besonders schlecht. Was geschieht? Was tut die Kirche? Unsere Kirchen sind unglaublich reich. Wie ist das mit "derjenige, der zwei Röcke hat, gebe dem einen, der keinen Rock hat"? Was lehrt uns unser Glaube? Unsere Gesellschaft befindet sich in einer totalen Schieflage. Wir alle sind gefordert. Carola Müllers, Kröv Nach den Morden in Frankreich und anderswo bin ich gemeinsam mit unseren französischen Nachbarn auch Charlie! Denn Freiheit ist unteilbar, auch die Pressefreiheit. Es gibt entweder Freiheit oder Diktatur! Ich lasse mir darum von Pegida und deren rechten Strippenziehern im Hintergrund nicht die Freiheit nehmen, zwischen Muslimen und Dschihadisten zu unterscheiden. Denn es gab in Deutschland eine Unzeit mit der Parole: "Die Juden sind unser Unglück!" Heute heißt es: "Die Muslime (und die Amis) sind unser Unglück!" Dafür gibt es keine Rechtfertigung, selbst wenn es unter ihnen wie überall Schwindler gibt. Freiheit heißt freilich niemals: Jeder kann tun und lassen, was er will. Das wäre nur die Diktatur der lautesten Schreier und härtesten Egoisten! Den Christen in Pegida empfehle ich darum die biblische Lektüre von Jesaja 58,6-9 und Matthäus 25,33-46. Vielleicht macht sie das nachdenklich. An die Adresse der Mörder "im Namen Gottes" sage ich: Gott schützt seine Ehre selbst. Er braucht keine "Killerkommandos". Die sind selbst Ungläubige und Gotteslästerer: Sie nehmen nämlich die Ehre Gottes in ihre blutbesudelten Hände und bevormunden so den Allmächtigen mit dem Ruf "Allah hu akbar", eine der schlimmsten Formen der Gotteslästerung. Manche der Karikaturen in Charlie Hebdo finde ich obszön und geschmacklos. Journalisten dürfen Missbräuche und jede Form von Scheinheiligkeit in jeder Religionsgemeinschaft anprangern, aber nicht die innersten Gefühle der Gläubigen verletzen. Dennoch bleibe ich nach der Mordorgie von Paris dabei: Je suis Charlie, auch wenn ich dieses Blatt nie kaufen würde! Hans-Martin Stüber, Gerolstein Charlie Hebdo ist eine mutige antiklerikale, allen Religionen gegenüber kritische und besonders dem Laizismus verpflichtete satirische Zeitschrift. Von vielen (Betroffenen) gehasst, aber von der Mehrheit respektiert (undenkbar in Deutschland). In Paris gingen 1,5 Millionen Menschen auf die Straße, um gegen den Terror zu demonstrieren. Die Gründe, zumal die der Spitzenpolitiker, sind gewiss so vielschichtig wie die Zahl der Teilnehmer. Wer Frankreich kennt, weiß: Der großen Mehrheit ging es primär darum, die Grundwerte der französischen Republik, voran die Freiheit und, untrennbar mit ihr gepaart, die Laizität zu verteidigen. Dass in Deutschland Pegida, AfD und sich darunter mischende Neonazis die Gunst der Stunde nutzen, um unreflektiert oder populistisch diese Morde auf ihre Weise zu instrumentalisieren, ist höchst bedauerlich. Wen wundert\'s aber bei der permanenten Unredlichkeit der Hauptakteure deutscher Politik?! Dass ein Seehofer mit seinen ausländerfeindlichen Ansätzen (Ausländermaut, Rumänen und Bulgaren missbrauchen unser Sozialsystem) Wahlen gewinnen und in Berlin mitregieren darf, ist noch viel schlimmer. Peinlich wird es, wenn in Berlin, durch eine Koalition der Religionen, unter Teilnahme eines ehemaligen Pfarrers, des jetzigen Bundespräsidenten Gauck, das Blutbad von Paris umfunktioniert wird. Hier ging es nicht mehr um die Werte republikanischer Freiheit, um die Charlie-Laizität als Bollwerk gegen religiöse Dominanz und Machtansprüche. Hier ging es eher darum, vorzugaukeln, alleiniges Fundament deutsch-demokratischer Werte sei eine Phalanx aus Gutchristen, Gutmuslimen und Gutjuden. Wolfgang Hertel, Konz Zu den vielen Artikeln zum Islam möchte ich Folgendes hinzufügen: In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 steht: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren, das heißt Muslime, Christen, Juden, Atheisten." Darauf hat der saudische Menschenrechtsaktivist Raif Badawi auf seiner Internetseite "Freie Saudische Liberale" hingewiesen. Er wollte damit ein Zeichen gegen die Politisierung des Islams setzen. Ein Rechtsgelehrter erließ eine Fatwa über ihn, indem er ihn zu einem vom Islam abgefallenen Ungläubigen erklärte, was die Todesstrafe zur Folge hat. Durch die dreimalige Wiederholung des Glaubensbekenntnisses entging Badawi der Todesstrafe. Wegen Beleidigung des Islams bekam er am 8. Mai des vorigen Jahres eine Strafe von 1000 Peitschenhieben, zehn Jahren Gefängnis und 1 000 000 saudischen Riyal (194 000 Euro). Jeweils 50 Peitschenhiebe soll Badawi nach dem Freitagsgebet bekommen, am 9. Januar wurde die Strafe zum ersten Mal vollstreckt (Anm. d. Red: Nach Informationen von Amnesty International ist die Peitschenhieb-Strafe inzwischen aus gesundheitlichen Gründen bis auf weiteres ausgesetzt worden). Täglich werden Frauen auch in anderen islamischen Ländern für "weit geringere Vergehen" mit noch mehr Peitschenhieben bestraft. Vor allem Christen, Eziden, Bahais, Beluchen sind dort nicht erwünscht, sie werden mit Blasphemievorwürfen zum Tode verurteilt. Es wäre wünschenswert, wenn wir in Europa uns mehr um diese furchtbaren Menschenrechtsverletzungen kümmern würden. Paris hat gezeigt, wie radikale Islamisten mit Ungläubigen umgehen. Katrin Bornmüller, Internationale Gesellschaft für Menschenrechte IGFM, Wittlich Die Demonstrationen der Pegida-Bewegung werden - zu Recht - von vielen Menschen mit Sorge betrachtet. Dem Anschein nach tummeln sich in dieser Bewegung allerhand Menschen und Gruppierungen, die keineswegs an demokratischen Verhältnissen interessiert sind, die Ängste und Sorgen der "mitlaufenden" Mitbürger für ihre Zwecke missbrauchen. Es ist wichtig und richtig, sich gegen rechtsextremes Gedankengut und dessen Verbreitung energisch zur Wehr zu setzen, dass auch unsere Politiker die Gefahr ernst nehmen, klar Stellung beziehen, mit entsprechenden Programmen gegensteuern. Doch das ist nur die eine Seite. Viele Menschen, auch Kommunen, fühlen sich von der Politik alleingelassen, auch in Bezug auf die Problematik der Aufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen. Warum druckt der TV nicht einfach die 19 Punkte des Pegida-Programms ab? Da kann sich jeder, der möchte, ein Bild von den Zielen der Bewegung machen. Maria Leiff, Üxheim-Leudersdorf Manche Leserbriefe bewegen mich zum erstmaligen Lesen des Textes, der den Anlass bot. Ich suche dann, weil die Replik mein Interesse weckt an etwas, das ich verpasst habe. Manche Leserbriefe bewegen mich zum zweiten Lesen des Textes, der den Anlass bot. Ich suche dann, weil ich den Eindruck habe, den Text zwar gelesen, aber etwas übersehen zu haben. Der Leserbrief des Herrn Hiller gehört zu keinem der beiden: Ich hatte den Kommentar von Frau Funk sorgsam gelesen, finde im Leserbrief des Herrn Hiller einzelne Begriffe, die ich erinnere, habe aber nicht den Eindruck, dass sich der Brief auf das in der Vorwoche Gelesene beziehen kann. Also suche ich den Kommentar "Die falschen Feinde" aus dem Altpapierstapel. Beide Texte liegen nun vor mir auf dem Tisch. Eine kleine Mühe, die ich jedem empfehle, der sich mit dem Thema auseinandersetzt. Frau Funk schreibt: "Nein, pauschale Ausländerhetze, die undifferenzierte Gleichsetzung von Religion und mordrünstigem Religionswahn ist nicht die Antwort auf das Massaker in Paris." Es folgen anderthalb Spalten mit einer sorgsamen Argumentation zur Aufgabe einer freien, prosperierenden Gesellschaft, dann erst nimmt Frau Funk Bezug auf die Demonstranten in Dresden und anderswo: "In unserm wiedervereinten Land dürfen selbst die ihre Meinung sagen, die gar nicht so genau wissen, was sie eigentlich wollen. [...]" Herr Hiller formuliert das um und verkürzt: "Starke Worte für die Demonstranten findet sie: ,pauschale Ausländerhetze\' oder ,undifferenzierte Gleichsetzung von Religion und mordlüsternem Religionswahn\', ohne Beweise für solche Behauptungen zu erbringen." Man nennt das wohl Klittern oder sich einen Schuh anziehen. Noch eine interessante verbale Pirouette von Herrn Hiller: "Sie rückt die Demonstranten sogar in die Nähe der Nationalsozialisten, indem sie schreibt, ihre Wortwahl entstamme ,originalgetreu dem Vokabular des nationalsozialistischen Verbrecherregimes\'." Im Klartext: Demons tranten bei Pegida beschimpfen Volksvertreter als "Vaterlandsverräter" und die Medien als "Lügenpresse". Wenn Frau Funk das ganz richtig als Nazisprache benennt, dann schreibt Herr Hiller beschönigend von "Wortwahl" und ist eingeschnappt. Wer rückt hier wen in wessen Nähe? Weiter postuliert Herr Hiller Anforderungen an eine Tageszeitung, die mir neu sind: "Selbstverständlich kann und muss eine Zeitung den Meinungen von einzelnen Mitarbeitern Raum geben. Einer Meinung sollte aber unbedingt eine Reihe völlig anderer Meinungen von Mitarbeitern gegenübergestellt werden." War ich doch bisher der Auffassung, eine Zeitung müsse lediglich Kommentare kennzeichnen, damit man sie als Meinung erkennt. Schließlich ist Herr Hiller der Auffassung, der Leser könne sich nur dann eine eigene Meinung bilden, wenn der TV das Positionspapier der Pegida "an prominenter Stelle (am besten auf der ersten, zweiten oder dritten Seite)" abdrucke, "...weil man sonst gar nicht genau weiß, worum es geht". Das ist in Zeiten des Internets nicht nötig, Herr Hiller: Mit wenigen Suchbegriffen kann sich jede und jeder die 19 Forderungen der "besorgten Bürger, die ihr Demonstrationsrecht in Dresden und anderswo ausüben", zur eigenen Meinungsbildung heranziehen. Was ich auch tue. Ich finde eine Mischung, die möglicherweise in einem "urdemokratischen" Prozess zustande kam. Das würde einiges erklären, frei nach dem Motto: Es reicht nicht, keine Meinung zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken. Anja Bilstein, Prümzurlay

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