Gesellschaft

Zum Artikel "Kein großer Akt der Solidarität" (TV vom 27. Juni) und zur Diskussion über die Flüchtlingsproblematik:

Migranten, Flüchtlinge, Vertriebene: Das Thema beherrscht die Medien. Kaum jemand stellt sich die Frage: Ist es berechtigt, ist es fair, die Europäer und in Sonderheit die Deutschen täglich aufs Neue mit Vorwürfen zu traktieren wie: unsolidarisches, unethisches, ja, sogar inhumanes Verhalten? Eine etwas differenziertere Abwägung der Realität von historisch-geografischen Zusammenhängen führt zu einem anderen Blickwinkel. Da ist zunächst die bedrückende Tatsache, dass Hunderttausende, wahrscheinlich Millionen vor den Grenzen Europas auf Einlass warten. Und jeder einzelne dieser Menschen gibt an, dass ihn die nackte Sorge um Leib und Leben in zerfallenden Staaten, in Krieg und Bürgerkrieg gezwungen habe, zu fliehen. Unbestritten: Das trifft ganz sicher auf einen Teil dieser Leute zu, aber ebenso sicher auf nur einen Teil! Den großen Rest treibt nicht die Angst vor Krieg und Terror, sondern ihn locken die Fleisch- und Geldtöpfe Europas, vor allem Deutschlands. Denn überall in Afrika und anderswo sind es Legionen krimineller Schlepper, die den Menschen in ihrem Elend zuraunen: Greift zu! Diese Töpfe stehen für alle bereit, die es nach Deutschland schaffen und sich als Verfolgter, als Flüchtling ausgeben. Das Letztere ist eine Bedingung, die sich leicht erfüllen lässt, indem sich der "Flüchtling" aller Personalpapiere entledigt und notfalls den eigenen Herkunftsort ein paar Hundert oder Tausend Kilometer ins nächste Kriegsgebiet "verlegt". Corriger la fortune, sagt der Franzose. Erlaubte Notwehr oder Betrug? Sicher: Auch diese nicht direkt Bedrohten, die wir mit dem leicht abschätzigen Wort "Wirtschaftsflüchtlinge" bezeichnen, haben gute Gründe für ihr Handeln, vor allem die Jungen. Das Leben im Dorf: kümmerlich. Armut, eine versaute Umwelt, Arbeitslosigkeit. Da locken die Schilderungen vom Paradies Deutschland umso mehr, zumal diese Menschen keinen Schimmer von den zu überwindenden Entfernungen und Gefahren haben. Es ist anzunehmen, dass ihnen keiner der skrupellosen Schlepper von dieser Lotterie auf der letzten Etappe, der Querung des Mittelmeeres, berichtet, diesem Spiel auf Leben und Tod. Dass es einige ins gelobte Land schaffen, grenzt fast an ein Wunder! Und dann diese ultimative Enttäuschung, die auf die meisten der Entwurzelten wartet: die zwangsweise Retournierung in ihre Heimatländer. Werden diese Gescheiterten nicht durch ihre Berichte einen Abschreckungseffekt bewirken, der potenzielle Nachahmer von einem solchen Abenteuer abhalten müsste? Nein, sie funktioniert nicht, eine Abschreckung durch Zeugenberichte. Es scheint, dass die Naiven den Märchen der Menschenhändler vom Paradies Europa mehr Glauben schenken als den Berichten der Heimkehrer. Und so drängen sich an den Küsten Nordafrikas und Kleinasiens weiter Millionen verzweifelter Menschen. Ein Ende dieses Irrsinns ist nicht in Sicht - und kein funktionierender Abwehrmechanismus der Europäer. Helmut Körlings, Traben-Trarbach

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