Gesellschaft

Zum Artikel "Filmen statt helfen: Polizei fordert härtere Strafen für Gaffer" (TV vom 11. Mai):

Nicht "Stammt der Mensch vom Affen ab?", sondern "Stumpft der Mensch vom Gaffen ab?" ist die Frage. Die Polizei beschwert sich, dass gaffende und filmende Jugendliche sie bei der Sicherung von Unfallstellen behindert hätten. Eine kurzlebige Schlagzeile über die folgenreiche Frage, wie ich Aufmerksamkeit errege. Denn nicht, dass Jugendliche jetzt sensationslüstern geworden wären, sterbende Verunfallte filmten, die Bilder ins Netz stellten und auf Klicks hofften, ist das erschreckend Neue, sondern die Blindheit für die Ursachen dieses Verhaltens. Ein Blick auf die "Abstammung" und Herkunft des Phänomens führt über die Toten der "Tatort"-Abende, die alltäglichen Inszenierungen von Attraktion für die Erwachsenen (die Eltern der jetzt in den Fokus geratenen Jugendlichen) und deren Konsum von medialer Gewalt hin zur Einsicht in die Abrichtung, ja Anzuckerung der Gesellschaft durch Schlagzeilen, die durch diese Gewöhnung gelernt hat, was beachtenswert sei und was nicht. Der Blick auf den eigenen "erwachsenen" Umgang mit Sensation und umgekehrt hoffentlich die Sensibilität für Hilfsbereitschaft klärt über die Herkunft und Überwindung des Phänomens auf. Kommerzialisierte und auf Käufer (Klicks) angewiesene Medien lehren ihre Schreiber seit 70 Jahren: "Nicht Hund beißt Mann, sondern Mann beißt Hund ist eine Nachricht wert." Das Außergewöhnliche, das Laute, das Blutige, das Extreme wird in den Schlagzeilen der Presse verkauft - und jetzt wundert diese sich über ihre Kinder, eben Jugendliche, die zwischen Ereignis und Empathie nicht mehr unterscheiden können. Betriebsblindheit also und fehlende Selbstkritik, die uns lange absehbare Folgen eigenen Handelns als ein erschreckend neues Phänomen verkaufen wollen. Fasst Euch an die eigene Nase! Matthias Jens, Trier-Ruwer

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