Gesellschaft

Zum Artikel "Einheitsfeier wird zum Hexenkessel" und zum Kommentar "Die neue deutsche Mauer" (TV vom 4. Oktober):

Meinen heutigen Leserbrief habe ich großenteils nicht selbst geschrieben. Ich habe ihn nur zur passenden Zeit gefunden. "Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen. Mich lässt die Heimat nicht fort. Ich bin wie ein Baum der - in Deutschland gewachsen - wenn's sein muss, in Deutschland verdorrt." Wer schreibt so etwas? Einer von gestern (stimmt), deutscher Patriot (stimmt), etwa einer von "denen", ein Fremdenhasser? Nein! Erich Kästner (1899-1974), Schriftsteller, schrieb es unter der Überschrift "Notwendige Antwort auf überflüssige Fragen." Seine Bücher waren 1933 als "zersetzend" verboten und verbrannt worden. Wie klar die schneidend scharfe Kante, die ihn kennzeichnet als Mensch, der seine Heimat und Vaterland (heute fast schon Unworte), deren Sprache, Kultur und Geschichte er kennt, liebt und versteht, zu einer Zeit, in der er selbst unter einer verbrecherischen Staatsmacht lebte und litt. Wie einfach heute, überall die lächerlich gemachte "deutsche Volksseele" - gemütlich und zukunftsscheu - zu vermuten (Standpunkt von Isabell Funk vom 10./11. September). Kritische Sichtweisen können nur noch von ewig Gestrigen, nichts aus der Geschichte gelernt Habenden, in braunen Sümpfen watenden "Fremdenhassern" stammen. Diese Einteilung in "Hell- und Dunkel-Deutschland" ist doch die neue deutsche Mauer, die unser Land und unsere Gesellschaft spaltet. Wo man das ungeliebte "Deutschsein" nur neu definieren müsste, um jahrelange gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu vertuschen. Womöglich befinden sich unter den "Fremdenhassern" auch einige Realisten und sogar Fremdenfreunde, die das "Einwanderungsland" für unfähig halten, seine riesigen Versprechen gegenüber den Eingewanderten zu erfüllen. Man kann bezweifeln, ob Ehrenamt da ausreicht. Wirkliche Integration, mit in Aussicht gestellter dauernder Bleibe in einem "bunten" Deutschland, bedeutet doch auch immer die Forderung, eventuell mitgebrachte Eigenheiten und Sichtweisen bei den Integranden aufzugeben, (man denke nur an "Burka-Verbot" und anderes). Das einfache Löschen und neu Zusammensetzen - fertig ist die Laube - wird nicht einmal mittelfristig funktionieren und kann allenfalls über Generationen dauernde Verwerfungen zu etwas Neuem, und noch völlig Unbekanntem führen. Wohlgemerkt, von selbstverständlicher Hilfe für Flüchtlinge und notleidende Menschen in ihren Ländern war hier nicht die Rede, die mag so weit gehen, dass es uns hier richtig "wehtut". Noch einmal Erich Kästner (1948, "An die Großmächte"): "Man kann ganz ruhig darüber sprechen: Auch wenn ihr die Kausalitäten verehrt und wenn ihr der krassen Gerechtigkeit huldigt, neue Dummheiten werden durch alte Verbrechen höchstens erklärt, bestimmt nicht entschuldigt." Franz J. Frey, Kanzem

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