Halloween bei den Schlottmanns- Teil 2

Der Halloweentag hatte in der Tat vielversprechend begonnen: Zusammen mit Oma hatten sie einen Kürbis ausgehöhlt und Oma hatte eine wundervolle Gruselgeschichte erzählt - und sie war wirklich passiert! - von einem geheimnisvollen Klopfen an einem Schneeabend in ihrer Jugend: Dass dieses Klopfen wirklich das Klopfen einer Toten, ja ihrer gerade erst gestorbenen Urur-oma war, hatte allen ein wohliges Kribbeln auf die Haut gezaubert. Nur nicht Thomas, der war kreidebleich in seinem Zimmer verschwunden!Am Nachmittag kochte Mama dann die Kürbissuppe und sah den Freundinnen von Franziska, der Lea und der Birgit, dabei zu, wie sie ihre mitgebrachten Vorräte auspackten und ein leckeres Büfett zauberten: Zuerst spritzten sie aus einer Flasche ziemlich viel Ketchup auf einen Teller, darauf verteilten sie kleine Würstchen, auf die sie Mandelsplitter legten.


"Das sind die abgehackten Finger kleiner Kinder", flüsterte Birgit Mama verschwörerisch zu und schrieb diesen schönen Titel in ihrer noch schöneren Handschrift auf einen kleinen Zettel, um ihn neben den Teller zu stellen. Und "Retrosellas Nasenschleim", das war: Rote Götterspeise, die in Orangensaft schwamm; leckere Butterstreusel bekamen den klangvollen Titel "Rübezahls Popelberg", und die Lakritzstangen wurden zu "Gerösteter Schlangenhaut". Und Birgit nahm aus ihrer Tasche kleine weiße Schaumstoffmäuse, die sie zwischen die Teller legte, aus einer Tüte schüttete sie kunstvoll Lakritzfledermäuse, aus einer anderen künstliche Gebisse aus Gummi dazu.
Mama würgte leicht. "Schön habt ihr das gemacht", krächzte sie, "nur gebt bitte meiner Suppe keinen Namen, irgendetwas muss ich heute schließlich auch essen", seufzte sie.
"Keine Sorge, Frau Schlottmann, die Suppe ist zu langweilig. Das macht doch heute eh jeder". Aufmunternd klopfte Lea Mama Schlottmann auf die Schulter.
Alles war angerichtet - "und jetzt verkleiden wir Thomas und Klein-Heinz", jubelte Franziska in ihrem Rausch und raste los, um die beiden zu suchen. Thomas fanden sie erstmal nicht, dafür aber Klein-Heinz, der unter dem Tisch mit seiner Kürbiskernarmee spielte.
"Komm, wir verwandeln dich in einen Zombie."
Lea riss aus einem alten Bettlaken Streifen und umwickelte damit die kleinen Ärmchen von Klein-Heinz. Ach, das war aufregend! Es störte ihn überhaupt nicht, dass die Mädchen ihn anfassten und einwickelten, wenn sie Krankenhaus spielten, machte ihm das auch immer Spaß. Und dass Mama erlaubt hatte, ein Tuch zu zerreißen! Er staunte.
"Was ist ein Sombie?", fragte er.
Franziska kratzte sich an der Nase: "Na ja, stell dir vor, du bist nachts auf einem Friedhof", sie machte eine Pause und schaute ihn mit großen Augen an.
Klein-Heinz nickte. Was ein Friedhof war, das wusste er natürlich, sie wohnten ja neben einem.
"Und jetzt stell dir vor, es ist zwölf Uhr nachts, alles ist dunkel und voller Nebel und die Gräber öffnen sich", ganz nah schlich sie an Klein-Heinz heran, umschlich ihn, umwickelte ihn.
"Und aus den Gräbern - au!" Lea hatte Franziska gegen das Schienbein getreten.
"Du spinnst doch", sagte Lea streng. "Pass mal auf, Kleiner, ein Zombie ist so eine Art Wächter. Er passt auf, dass nichts Schlimmes passiert. Das macht er halt auf einem Friedhof."
Klein-Heinz dachte nach: "Wie meine Soldaten?", und er zeigte auf seine Kürbiskerne.
"Ja, so ungefähr", Lea nickte.
"Aber warum hat er dann einen Verband?" Klein-Heinz zog die Nase kraus, das machte er immer, wenn er nachdachte, so wie Thomas immer die Zunge herausstreckte.
"Na ja", Lea stöhnte, "er …. er ist verletzt, von einem Kampf vorher, deshalb hat er einen Verband."
Klein-Heinz nickte, er war einverstanden. So hatte er auch nichts dagegen, dass Birgit hier und da rote Farbe auf seine weißen Binden malte. Ein Held blutete schließlich, das wusste sogar er ja schon.
Zum Schluss betrachteten die drei Damen abschätzend ihr Werk. "Seine Bäckchen sind viel zu rot", stellte Lea kritisch fest und überschminkte die frischen Wangen von Klein-Heinz mit einem düsteren Grau. "Perfekt", sie nickte zufrieden. "Jetzt darfst du dich anschauen."
Da stellten sie Klein-Heinz vor den großen Spiegel im Flur - doch dieses schaurige Etwas, das ihn da aus dem Spiegel anstarrte, war niemals ein Held oder ein Wächter oder ein Soldat. Fassungslos starrte er in den Spiegel. Das sollte seine Verkleidung sein, worauf er sich so gefreut hatte, das war das Ergebnis all der Mühen? Ihm wurde geradezu unheimlich zumute vor dem, was er da sah. Und Klein-Heinz fing an zu schreien. Und lief in sein Zimmer, in seine 'Höhle', in das Zimmer, in dem Thomas zitternd unter der Bettdecke lag. Als Thomas seinen kleinen Bruder so zugerichtet sah, war es aus und vorbei. Mit ihm selbst konnte man es ja machen, oh ja, ihn erschrecken mit gruseligen Geschichten und schrecklichen Fratzen, oh ja. Aber nicht Klein-Heinz, nicht umsonst hieß er "Klein", und auf ihn musste er aufpassen, koste es, was es wolle!
"Franziska, du Blöde", er stürzte aus dem Kinderzimmer und warf sich mit voller Wucht auf seine Schwester, die gerade dabei war, sich ein künstliches Gebiss mit Vampirzähnen in den Mund zu schieben.
"Du spinnst ja wohl", nuschelte sie und dann "Au!". Sie hatte sich in den Finger gebissen und jetzt tropfte echtes Blut auf den Boden.
"Ei geil", Lea war begeistert: "Kampf der Dämonen"! Sie zückte ihr Handy und fotografierte Franziska und Thomas, die auf dem Boden lagen, sich an den Haaren zogen, sich boxten, sich bissen und was sonst noch so möglich war, um dem anderen seine Stärke zu zeigen.
"So, Schluss jetzt, aufhören!" Papa war dem Geschrei gefolgt, aber als es ihm gelungen war, die beiden Kampfhähne zu beruhigen, hörte man aus dem Kinderzimmer weiteres Gejammer.
"Was ist denn heute nur los?" Er ging kopfschüttelnd nachschauen und fand eine kleine Mumie, über deren Wangen graue Tränen liefen.
"Na, eben Halloween", Lea tanzte fast vor Freude.
"Kommt mal mit in die Küche", sie zog Thomas hinter sich her, Papa folgte mit dem schniefenden Klein-Heinz auf dem Arm, und Lea las ausgelassen die Namen der Halloweengerichte vor. Ach, wie war das alles schrecklich, Thomas wünschte, der Tag wäre endlich vorbei. Um das Haus herum flackerten die furchterregenden Gesichter der Kürbisse, in der Küche standen kleine abgehackte Finger und Nasenschleim und Klein-Heinz glaubte, er würde wirklich bluten.
"Ich habe noch nie was von Halloween gehalten", brummte Papa.
Und dann klopfte es an der Haustür. Mama öffnete und erwartete, ein paar Kinder verkleidet zu sehen, die "Süßes" wollten. Aber da war niemand, kein Mensch, kein Kind.
"Na so was, vielleicht ein Klingelstreich". Sie schloss die Tür. Einige Minuten später klopfte es wieder, lauter dieses Mal, und Papa öffnete. Wieder stand niemand vor der Tür, nur die Kürbisse grinsten Papa an.
"Na so was, wer klopft denn heute und versteckt sich? Die wollen doch alle Süßigkeiten", er schloss die Haustür wieder und schaute auf die große Schüssel, die im Flur stand, voller Bonbons und Schokolade.
"Vielleicht ist es Oma", flüsterte Thomas. Wenn er vorhin schon weiß gewesen war, jetzt schimmerte seine Haut fast durchsichtig.
"Wieso denn Oma?", Papa schaute irritiert. Oma war inzwischen nach Hause gefahren, sie würde sich bestimmt nicht heimlich verstecken und klopfen und sich wieder verstecken. Oder doch?
"Vielleicht ist sie tot". Thomas fasste Papas Hand.
Ja, es war draußen kalt, wie Papa gesagt hatte, aber dass ihm jetzt kalter Schweiß über den Rücken lief, das hatte einen anderen Grund. Er zuckte zusammen.
Und dann klopfte es zum dritten Mal, lauter noch als vorher, energischer, so als habe es jemand eilig oder sei in großer Not.
Papa riss die Tür auf. Niemand hätte jetzt Zeit gehabt, sich noch zu verstecken. Aber da war niemand, gar keiner. Papa und Mama schauten sich an. Und hörten ein leises, unterdrücktes Gekicher. Papa ging aus dem Haus, Thomas immer noch an der Hand.
Überall flackerten Kerzen und überall leuchteten Kürbisse, aber Papa hatte keine Augen dafür, er drehte sich um und suchte die Quelle für das Gekicher. Und er fand sie. Oben am Fenster lehnte seine Tochter Franziska mit einem großen Stock in der Hand, der lang genug war, dass man ihn aus dem Fenster halten und damit gegen die Haustür schlagen konnte, und erstickte fast, so sehr versuchte sie, ihr Lachen zu unterdrücken.
"Na, hab ich euch erschreckt, habt ihr euch schön gegruselt?", keuchte sie.
Papa schüttelte den Kopf: "Noch nie habe ich was von Halloween gehalten."
Und hier, lieber Leser, endet Ihre Reise mit "den Schlottmanns". Seit St. Martin im letzten Jahr sind alle ein Jahr älter geworden, wie Sie, wie ich. Vielleicht begegnen Sie dem ein oder anderen der Familie ja einmal, der Mama, dem Papa, der Amelie, der Franziska, dem Thomas, dem Klein-Heinz oder dem kleinen Baby Claudia Schlottmann. Denn sie sind da, in dieser Welt, in dieser Zeit, "in der das Wünschen noch geholfen hat".

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