Hebel an der falschen Stelle angesetzt

Zum Artikel "Schule versagt: Markt für Nachhilfe boomt" (TV vom 13. März):

Dass ich einen Bericht von Herrn Winkler, der bisher durch seine mehr oder weniger klugen Ergüsse zur Abschaffung der Hauptschule auffiel, positiv hervorheben könnte, überrascht auch mich.Bisher meldeten die Eltern ihr Kind neben der "falschen" Schule parallel bei Nachhilfe-Instituten oder privaten Nachhilfelehrern an, damit es die Schule, in der es vom ersten Tag an überfordert war, möglichst lange besuchen konnte. Erst wenn das Kind auch psychisch therapiert werden musste, wurde die längst fällige Korrektur der Schullaufbahn vorgenommen. Jetzt aber sind nach Umsetzung der Schulreform, auch dank Herrn Winklers gebetsmühlenartig vorgetragenen Argumenten für die Gesamtschule, alle Kinder vom ersten Tag im Bereich der Sekundarstufe I scheinbar an der richtigen Schule. Aber weit gefehlt: Die Kinder werden in den Klassen 5 und 6 zusammen, ohne die bisher praktizierte äußere Differenzierung, von Lehrern unterrichtet, die innere Differenzierung, offene Unterrichtsformen und Methodenvielfalt bisher in die "Märchenwelt" der Grundschule verwiesen haben. Nun aber müssen diese die Kinder dort abholen, wo die Grundschule sie abgegeben hat. Dies geschieht in der Regel in Schulen mit bis zu 1000 Schülern in Klassenräumen mit dem Charme der Umkleidekabine einer Turnhalle. Die vollkommen übernommene Heterogenität einer Grundschulklasse wird jetzt im Oberstufen-Bereich auf einen Lehrer treffen, der eine Stunde zuvor den Leistungskurs Mathe 13 unterrichtete und mit der Psyche und der Art, wie ein zehnjähriges Kind denkt und lernt, wenig anzufangen weiß. Die bisherige Bildungspolitik hat hierbei ebenso versagt: Die Dreigliedrigkeit des Schulsystems und die äußeren Differenzierungsformen in Hauptschulen und schulartübergreifenden Orientierungsstufen ließen den Lehrer an Homogenität glauben und haben eine nachhaltige Weiterentwicklung der Unterrichtsqualität verhindert.Fazit: Die neue Bildungspolitik wird Nachhilfe nicht überflüssig machen können, denn die jetzt eingeläutete Reform setzt den Hebel an der falschen Stelle an. Warum beginnt man mit der Schulreform in der Mitte? Ein Kind gehört - auch wegen des möglichst lange möglichen gemeinsamen Lernens - sechs Jahre in die Hand von Grundschulpädagogen, danach erst in ein Gymnasium oder in eine Integrierte Gesamtschule (IGS). Richard Begon, Rektor der G(H)S Mettendorf bildung

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