"Mein Haus in Syrien" - ein Kind zwischen zwei Welten

Das Café-Welcome im Bürgerhaus Trier-Nord hat nach wie vor eine große Anziehungskraft, auch wenn in diesen Monaten, infolge der restriktiven Flüchtlingspolitik Europas, nicht mehr viele neue Flüchtlinge ankommen. Viele Familien mit Kindern und einzelne junge Männer leben noch in der Erstaufnahmeeinrichtung , die sie "das Camp" nennen.

"Mein Haus in Syrien" - ein Kind zwischen zwei Welten
Foto: (g_wissen

Einige haben Wohnungen im Stadtgebiet bekommen und besuchen uns im Cafévon dort aus.
So ist stets ein Kommen und Gehen, ein Wiedererkennen und Begrüßen und ein reger Austausch miteinander in der freundlichen Atmosphäre unseres Cafés.
Nachbarn und Freunde bringen selbst gebackenen Kuchen vorbei, der dankbar angenommen wird. Gitta und die Frauen sind froh, denn sie brauchen viele Kuchen, um allen Besuchern austeilen zu können.
Unsere Kinderecke mit einer Eckbank, einem Tisch und mehreren Stühlen, daneben ein Regal mit Spielen aller Art, Malbüchern und Malstiften, einer Kiste mit Legosteinen und Bauklötzen, und natürlich viele Kuscheltiere, ist ein besonderer Anziehungspunkt für die Kleinen. Nur müssen wir manchmal den Tisch verteidigen gegen andere Besucher, die ihn in Beschlag nehmen wollen.
Heute waren stets acht bis zwölf Kinder an diesem Tisch versammelt. Ich nahm die Kleinste auf den Schoß, und sie begann sofort zu malen, lauter kleine und große Kreise in allen Farben. Ihre Schwester Sundsh war fleißig dabei, ein Gemälde zu erstellen, das sie mir schenken wollte. Der Bruder Jakub vergnügte sich mit einem Tierlotto. Alle schauen mich immer wieder an und brauchen meine Bestätigung und Bewunderung, die ich ihnen gern gebe.
Die große Schwester Hajad saß im Rollstuhl und wollte gern ein Puzzle legen. Da war es gut, dass sich Nadine zu uns setzte, die viel Geduld hat und mit Hajad und der kleinen Zahra fortan Puzzle legte, was ihnen sehr gut gelang und ihnen sichtlich Freude machte.
Der Vater von Hajad zeigte mir ein Schreiben vom Mutterhaus in Trier, wo Hajad behandelt worden war. Sie hatte in Syrien eine Verletzung am Bein erlitten, die schlecht versorgt worden war. Nun braucht sie eine ständige Weiterbehandlung und sitzt im Rollstuhl.
Die ganze Familie lebt noch im "Camp", wie sie sagen, und die Kinder gehen noch nicht in die Schule.
Dagegen hat die Familie Andoura inzwischen eine Wohnung, und die Kinder besuchen die Ambrosius-Förderschule in Trier-Nord. Die Kinder Fadj und Shahd sprechen schon recht gut deutsch. Sie singen seit kurzem in den Vorbereitungskursen für den Dom-Chor. Es sind sehr aufgeweckte Kinder. Fadj zeigte mir sein Gemälde eines großen Schiffes, das so gekonnt gezeichnet war, dass ich es sofort als Schmuck an die Wand hängte. Shahd holte ihre Mutter herbei, so dass ich sie auch kennenlernte. Die Familie stammt aus Damaskus und ist sehr bestrebt, sich hier einzuleben, zu lernen und ein gutes Miteinander zu finden.
Inzwischen hatte Sundsh ihr Bild, das sie für mich malen wollte, fast fertiggestellt. Sie wollte, dass ich meinen Namen auf das Bild schreiben sollte. Dann schrieb sie ihren Namen dazu, malte noch zwei Pfeile hinzu und schenkte mir das Bild. Links war ein Haus zu sehen: "Meine Haus Syrien" sagte sie. Darüber hatte sie ein Gesicht gemalt; nur die Augen, schön mit Wimpern, die Nase und den Mund. Aus den beiden Augen fiel jeweils eine einzige Träne auf das Haus.
Ich war zutiefst beeindruckt, als ich das sah und verstand, was sie damit sagen wollte.
Die Wiese am unteren Bildrand mit ihren bunten Blumen, der hellen Sonne und den Sternen soll wohl ihre heutige Wirklichkeit in Sicherheit und Frieden symbolisieren.
Doch die doppelten Herzen offenbaren die Zerrissenheit dieses Kindes zwischen seiner verlorenen Heimat und seiner heutigen Wirklichkeit.
Einerseits zeigt der Pfeil zu unseren Namen: Sundsh und Gisela, worüber sie glücklich ist.
Andererseits gibt der Pfeil zu dem Haus in Syrien (oder der verlorenen Heimat?) ihren Schmerz und ihren Zwiespalt wieder.
Das große Herz in der Mitte soll sicher sie selbst sein - ein Kind zwischen zwei Welten!
Ich bin sehr beeindruckt von diesem Bild und von diesem Kind!

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