POLITIK

Zur Berichterstattung über Entscheidungen der großen Koalition:

Sind eigentlich laut Koalitionsvertrag alle politischen Entscheidungen und Abstimmungen für die ganze Legislaturperiode festgelegt? Diesen Eindruck muss man haben, wenn die Entscheidungsträger sich immer wieder darauf berufen. Beispiele gefällig? Die PKW-Maut muss kommen, weil sie im Koalitionsvertrag verankert ist. "Ich fordere die SPD auf, den Koalitionsvertrag zügig mit uns umzusetzen" (CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer). Familienministerin Schwesig solle nicht so weinerlich daherreden, sondern umsetzen, was im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist (CDU-Fraktionschef Volker Kauder). Ja, wo leben wir denn? Ist das vielleicht bürgergerechtes politisches Handeln? Sollten die Vorgaben des Koalitionsvertrages nicht vielmehr von Fall zu Fall überprüft und dann nach kontroverser Diskussion in den Parteien neu entschieden werden? Will man neue Erkenntnisse oder neuere Entwicklungen, die sich aus gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Veränderungen ergeben, einfach außen vor lassen? Das Abstimmungsverhalten funktioniert vielmehr so: Die CDU hat ihre Mütterrente bekommen, die SPD ihre Rente mit 63, jetzt sind wir dran (CSU-Forderung zur Maut). Das ist reine Parteipolitik und geht an den Problemen der Gesellschaft vorbei - parteipolitische Profilierungssucht eben im Rahmen der Koalition und auf Kosten der Bürger. Ein guter Nährboden für Politikverdrossenheit. Den Koalitionsvertrag als Handlungsrahmen nutzen und nicht alle Entscheidungen damit vorwegnehmen, das wäre lebendige, situativ ausgerichtete Politik. Statt dessen ist der Koalitionsvertrag offenbar eine "heilige Kuh", die man nicht zu schlachten bereit ist. Wer es dennoch wagt, wider den Stachel zu löcken, wird zur Ordnung gerufen (siehe Fraktionschef Kauder). Ich meine, bürgernahe Politik sieht anders aus: sachorientiert, aktuell, situativ, flexibel. Unumstößliche Koalitionsfestschreibungen sollten da keinen Platz haben. Ernst Neumann, Gutweiler

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