Seltsam verschwommen

Politiker und Medienwelt in Deutschland sind erwacht, nachdem die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung ihre Untersuchung zur "Unterschicht" in den Ring geworden hat. Leute wie Vize-Kanzler Müntefering bestreiten schlicht das Vorhandensein einer Unterschicht, andere bestätigen, dass es so was gibt.

Darf man nur nicht so nennen von wegen der political correctness. Als ein Teil der ausgebrochenen Diskussionen nunmehr der Beitrag über das Leben in verdeckter Armut. In diesem Zusammenhang eine Äußerung des Trierer Bischofs Marx, endlich Arbeitsplätze für sozial Schwache zu schaffen. Die Forderung ist wohlfeil, dabei seltsam verschwommen, als gelte es nur, die Stimme der Kirche in diesem Kontext zu erheben. Denn Arbeitsplätze für sozial Schwache als solche gibt es natürlich nicht. Sind vielleicht - etwas präziser - Arbeitsplätze für nicht oder wenig Qualifizierte gemeint? Sofern zutreffend, ginge dieser Aufruf in die falsche Richtung. Die nach dem Krieg in der Industrie vorhandenen Arbeitsgelegenheiten für ungelernte Arbeiter verführten viele Deutsche, sich in der Schule erst gar nicht nach der Decke zu strecken und die Mühsal einer Berufsausbildung nicht auf sich zu nehmen. Zwar wurden solche Arbeitsplätze immer weniger, doch in vielen Köpfen hat sich nichts geändert. Immer noch der Glaube, das geht auch so, und irgend jemand wird sich kümmern. Daher die Forderung an alle Erwachsenen nach Aus- und Weiterbildung zu erheben, damit Kinder und Jugendliche am gesellschaftlichen Vorbild wieder erkennen, dass nur diszipliniertes und eifriges Lernen zum Erfolg im Leben führen kann. Eine Garantie gibt es freilich selbst dann nicht. Wenn wir im internationalen Wettbewerb auf Dauer bestehen wollen, müssen wir uns an der Hingabe messen, mit welcher in den aufstrebenden asiatischen Ländern gearbeitet und mit welcher Leidenschaft dort gelernt wird. Das gelangweilte Absitzen von Schulstunden mit der Baseballmütze auf dem Kopf ist dort nicht bekannt. Die beständigen Rufe aus Gewerkschafts-, Gutmenschen- und jetzt auch aus Kirchenkreisen, Arbeitplätze für Ungelernte zu schaffen, sind nur Zeichen eigener Phantasie- und Hilflosigkeit und überdies unehrlich. Soweit nämlich Unternehmen ungelernte Arbeit nicht benötigen, werden sie Ungelernte nicht beschäftigen. Wolf-Rüdiger Wulf, Trier

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