Spießrutenlauf und Eiertanz

Es mag anmaßend erscheinen, eine Kritik über eine Kritik zu schreiben, und dennoch wiegt meine Enttäuschung über das im Trierer Stadttheater Gesehene größer als dass ich diesen Leserbrief nicht verfassen möchte.

Die Thematik, welche Max Frisch in seinem Stück Andorra anspricht, ist eine zeitlose und somit durchaus eine auf die heutige Zeit übertragbare. Doch im Gegensatz zu Dieter Lintz denke ich, dass das Experiment, diesen zeitlosen Text mit aktuellen Bezügen zu versehen, in der Inszenierung von Horst Ruprecht gründlich misslang. Die eingefügten Analogien erschienen vollkommen zusammenhangslos und bemüht und nicht sinnvoll durchdacht und integriert. Auch insgesamt ließ das Stück eine klare Linie vermissen und mutete eher wie eine Zusammensetzung aus unterschiedlichen, teilweise guten Ideen an, die aber niemals konsequent zu Ende geführt wurden. Die Durchmischung einer grundsätzlichen abstrahierten Darstellung mit aktuellen Elementen wirkte zu keiner Zeit glaubhaft und authentisch. Hatte man in der Pause noch den Glauben und die Hoffnung, das Stück werde eine dramatische Entwicklung vollziehen und dieser auch gerecht werden, so folgte ein mit absurden Effekten versehener zweiter Teil, der für die Dramaturgie in keinem Fall nötig ist, um schließlich in einer als Spießrutenlauf angedachten Judenschau-Szene zu gipfeln, die eher wie ein Eiertanz anmutete und jegliche spürbare Ernsthaftigkeit und Beklemmung vermissen ließ. Auch konnten die teilweise überzeugenden Schauspielleistungen einzelner Akteure leider zu fast keiner Zeit die Spannung erzeugen, die nötig gewesen wäre, um die Invasion Andorras und die Judenschau-Szene glaubhaft und fesselnd darzustellen. Was bleibt ist die Erkenntnis, dass man sich am Trierer Theater bemüht hat, Ideen vorhanden waren, die Umsetzung jedoch gründlich gescheitert ist. Immanuel Bartz, Trier

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